Sternenstaub (German Edition)
gefallen. Wahrscheinlich hätte sie ewig so dort gestanden, wenn sie nicht durch das leise Klicken der Tür aus ihrer Starre erlöst worden wäre.
Das Hausmädchen, Matilde, hatte die Tür geöffnet und bemerkte ihren toten Arbeitgeber, als die Tür gegen seinen Körper stieß.
„Herrin...?“, kam es leise von dem angsterfüllten Mädchen. Es war kreidebleich und Tränen sammelten sich unter ihren Augen. Niemals hätte sie dies für möglich gehalten.
Niobe war ihr ein Vorbild und vielleicht sogar wie eine Mutter gewesen. Sie wollte es nicht glauben.
Niobe sagte nichts. Gar nichts. Eine Minute standen sie sich schweigend gegenüber.
„Ich...“, die Stimme der Magierin war stumpf, ermüdet und voller Leere. „Es war... Ich weiß nicht was es war...“
Die Magierin log nicht.
Sie war verwirrt und ihre Gedanken wirr.
Es war , als wäre sie zum Betrachter geworden. Einem Be-trachter, der dabei zuschaute, wie er selbst die Liebe seines Lebens scheinbar grundlos umbrachte.
Niobe biss sich auf die Hand , um einen Tränenausbruch zu verhindern. Für sie war es wichtig, Ruhe zu bewahren, sich und ihre Gedanken zu sammeln und richtig zu handeln.
Doch es blieb ihr verwehrt. Wenn im Rat Entscheidungen getroffen werden mussten, dann war sie immer bei klarem Verstand, optimistisch und überzeugt. Nun war es ihr nicht möglich.
„Herrin?“, stammelte das Hausmädchen wieder. Diesmal waren ihre Worte fester, realer und dennoch spürte man ihre Verwirrung.
Niobe schüttelte emotionslos ihren Kopf.
„Geh. Hol wen du willst. Ich habe keine Aufgabe mehr für dich.“
Unglaublich eintönig und gänzlich frei von dem Hauch einer inneren Regung bildete sie ihren ersten Satz an diesem Morgen. Normalerweise müsste sie jetzt bereits mit Vincent am Frühstückstisch sitzen , um sich ausgiebig über die be-vorstehende Arbeit zu unterhalten, oder um sich wie zwei Liebende einfach nur nahe zu sein, doch so war es leider nicht.
Matilde verließ wieder den Raum und ließ die Tür einen Spalt weit geöffnet. Niobes Blick glitt hinab zu Vincent. Sie ging durch die Blutlache auf ihn zu. Dann kniete sie sich vor ihn. Ganz sachte und langsam. Ihr weißer Morgenrock saugte das Blut ihres Mannes, wie ein Schwamm auf. Dann wurde Niobe von der Erkenntnis, dass Vincent tot war, überwältigt und sie brach schluchzend über ihm zusammen.
Die Wache schob sie sanft an. Er bat sie weiterzugehen und das tat sie auch, ohne zu zögern. Sie wollte sich nicht mehr widersetzen, das hatte sie heute schon zu häufig getan. Die rötliche Sonne strahlte ihr in das Gesicht und ein leichtes Prickeln streichelte ihre Haut, so wie Vincent es früher getan hatte.
Erinnerungen an Küsse und Berührungen gingen durch Niobes Kopf. Es kam ihr vor, als wären sie seit Ewigkeiten voneinander getrennt.
Normalerweise sollte es regnen. Dieses Geschehen forderte einen weinenden Himmel, einen grauen Herbsttag, der seine Trauer kundtat und keinen strahlenden Sonnenunter-gang. Doch Niobe war dies tausendmal lieber. Es war, als würde sich die Sonne selbst von ihr verabschieden und mit ihr untergehen.
Ihre nackten Füße glitten über das raue, warme Stein-pflaster. Sie kam dem Podest, auf dem der Scharfrichter wartete, immer näher und erreichte schließlich die hölzerne Treppe, deren drei Stufen sie auf das Podest führten.
Neben den Wachen und dem Henker wartete noch ein wei-terer Mann auf sie. Er hielt eine Schriftrolle in seinen blassen Händen und seine dunkle Kleidung verriet, dass er von hohem Hause war. Als er begann das Urteil zu ver-lesen, verstummten die Wehklagen des Volkes, so dass seine Stimme über den gesamten Platz hallte.
„Hiermit verurteilt das Tribunal der Stadt Ismarid, im Auftrag des Königshauses, die Magierin Niobe, für den Mord an ihrem Manne, Vincent, dem Berater des Königs und angesehenem Politiker der Stadt, zum Tode durch Enthauptung. Die Bestrafung wird...“
Niobe hörte nicht zu. Seine Worte erinnerten sie wieder an die Geschehnisse des Tages. Denn sie hatte sie zu häufig gehört.
„Meisterin Niobe? Hiermit verhafte ich sie wegen Mor-des an Vincent, ihrem Gemahl, Berater des Königs und angesehenem Politiker.“
Niobe hob langsam ihren Kopf. Alle Tränen waren geweint und ihre Haut von dem salzigen Wasser ganz ausgetrock -net. Der Soldat der Stadtwache hob sie an ihrem Arm hoch und presste ihren Körper gegen die Wand. Jetzt erkannte sie erst, dass sich Weitere
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