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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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doch gar nicht.« Sie stand auf und lehnte sich über die Brüstung. »Ich finde das treulos.«
    »Ich hätt mal ganz gern bei ihr im Garten gelegen«, sagte er. »Bei dem Wetter.«
    »Ich wär sowieso nicht gefahren.« Sie setzte sich wieder neben ihn. »Jetzt schmollt sie, weil ich gleich wieder weg bin, wie ich den gesehen hab, dabei hatte ich eh keine Zeit und überhaupt –« Sie zerbröselte das Weißbrot zwischen den Fingern. »Vergiß es, ich mag nicht mehr drüber reden.«
    Irgendwo in den Häusern fing ein Kind an zu schreien. Ein böser Traum vielleicht, von Dämonen mit greisen, spindeldürren Fingern. Ina legte den Kopf zurück. Sie mußte einer Mutter sagen, daß ihr Kind gestorben war. Sie mußte sie erst finden.
    »Die hat es gerade nötig«, sagte sie. »Einmal hat sie mich gefragt, ob ich mir das gut überlegt hab, nach einem Studenten jetzt mit einem polnischen Aussiedler zusammenzusein, dabei hat ihr der Student auch nie gepaßt, weil ich den praktisch durchgefüttert hab mit dem Bißchen, was ich kriege.«
    »Ich bin Deutscher.« Tom nahm sich noch eine Olive. »Das muß sie sich mal merken.«
    »Ach was, du kommst aus Polen. Wenn die auch noch wüßte, daß du mal gesessen hast, würde sie ausrasten.«
    »Nein«, sagte er. »Das hab ich ihr erzählt.«
    »Du hast – wann war das?«
    »An ihrem Geburtstag. Ausgeflippt ist sie nicht, hat bloß gemeint, ich wär wohl gestrauchelt – so hat sie’s gesagt – weil ich so viele Geschwister hab, und daß wir sicher Hunger gehabt hätten und so. Na, ich hab dann nix weiter dazu gesagt. Aber ausgeflippt ist sie nicht. Die fand das gar nicht so schlimm, wenn man Autos klaut, jedenfalls nicht so schlimm wie Leute überfallen und so. Hat sie ja auch recht.«
    »Ich faß es nicht.« Sie starrte ihn an. »So was erzählt sie mir natürlich nicht. Ist ja wieder typisch, wird sie irgendwann mit ankommen, so aus dem Hinterhalt, verstehst du?« Sie nahm den Teller, das Weinglas und die Tassen, die noch herumstanden, und schob alles auf ein Tablett. »Geh ins Bett, wir müssen ja eh gleich wieder raus.«
    »Kommst du nicht?«
    »Ich geh noch duschen. Weißt du was, ich bin hundemüde, aber ich könnte jetzt alles mögliche machen, schwimmen, tanzen, irgendwas.«
    »Bist überdreht«, sagte er ruhig.
    »Ja, ja, du hast immer für alles ’ne Erklärung.«
    Er schlief, als sie sich neben ihn legte, furchtlos sein Gesicht und wunderschön. Das Fenster war weit geöffnet, und durch die dünnen Vorhänge drang der schwache Schein der Straßenlampe. Weiter weg machte noch jemand Musik, verhaltene, traurige Töne aus einem Akkordeon. Tango tanzte man dazu, in schicken Klamotten, ganze Nächte lang kam man nicht voneinander los. Sie drehte sich auf die Seite. Ein Klagelied, Robin Kammers kleines Requiem vielleicht. Der Polizeipsychologe hatte ihr erzählt, daß der Ermittler sozusagen in Etappen denken sollte. Ran an die Leichen, was so geklungen hatte wie ran an die Buletten, hingucken, ermitteln und sie dann herunterspülen, den inneren Abfluß runter, als hätte es sie nie gegeben.
    Wo genau befand sich denn der innere Abfluß, hatte sie wissen wollen, brauchte man Abflußfrei von Zeit zu Zeit?
    »Sie bocken, Frau Henkel« – er hatte sich eine Zigarette angezündet, sie haßte den Gestank – »damit kriegen Sie sich nicht in den Griff.«
    Raucher, sagte sie, sind asozial.
    »Nicht ablenken.« Lächelnd hatte er sie angesehen, sie haßte sein Lächeln.
    Psychologe. Manche hatten selber einen Knall, das war bekannt.
    Sie drehte sich auf den Bauch. Robin Kammers tote Augen waren so ruhig gewesen, doch erzählten seine Wunden von der Hölle. Als sie Toms Schulter berührte, brummte er und zog sie an sich. Es war zu warm, es war unbequem, es war okay.

[ 3 ]
    Dorian dachte ans Tanzen, schon die ganze Zeit.
    Als er den Friedhof verließ, umarmte Nicole ihn so lange, daß er schließlich den Kopf zurücklegte, um die Sommersprossen auf ihrer Nase zu zählen, vier, fünf, sechs, für eine Rothaarige nicht allzuviel. Er verspürte das merkwürdige Bedürfnis, sie zu trösten, so wie man ein Kind tröstet, das sich die Knie aufgeschlagen hat, ist ja gut, ist alles gut, soll ich pusten?
    Dann hatte er frei, mitleidsfrei. Er brauchte noch nicht einmal zur Wache, um seine Uniform auszuziehen, weil die Kommissare ihm gesagt hatten, geh nach Hause, geh gleich. Er wollte nicht, daß sie ihn fuhren, weil er die Nachtluft spüren und mit langen, schnellen Schritten laufen wollte

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