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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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drinnen tickte Hollsteins kitschige Kuckucksuhr.
    Engelsgleiche Wesen, wohin man auch kam, ich doch nicht, ich weiß doch nichts, ich bin das nicht gewesen, ich hab doch nichts getan. Selbst wenn man sie nach der Zeit fragte, würden sie sagen: Ich hab doch gar keine Uhr.
    »Der Junge war anständig«, sagte Hollstein hinter ihr, »der hat nicht gestohlen.«
    Sie wandte sich ihm wieder zu. »An irgend etwas müssen Sie sich doch erinnern. Hat er von seinem Bruder erzählt, seiner Mutter?«
    Hollstein schüttelte den Kopf. »Ich wußte gar nicht, daß der Familie hat.«
    »Kennen Sie eine Katja Kammer?«
    »Nee. Seine Mutter?«
    »Kemper?«
    »Wer ist das?«
    » Kennen Sie einen Mann namens Kemper?«
    »Aber nein, nein.« Wie Rumpelstilzchen stampfte er mit dem Fuß, dann drohte er ihr mit dem Finger. »Wie Sie mich hier behandeln –«
    »Zeigen Sie uns seine Sachen.« Kissel sprang auf.
    Hollstein schlurfte vor ihnen her in ein Schlafzimmer mit Schrankwand und Liege. »Viel ist es ja nicht. Er hat noch Pullover hier, seinen Rucksack hat er immer mitgenommen.«
    Sie hatten nichts bei ihm gefunden. Ina sah sich Robins Sweatshirts an, während Kissel sich den Rucksack beschreiben ließ. Ein ganz normaler Rucksack halt – Hollstein fing an zu stottern – wie sie alle einen haben. Schwarz. Mittelgroß. Leder oder auch nicht, jedenfalls glänzend. Abwaschbar, mit Riemen. Mit Riemen und Schnallen. So ’n Rucksack eben, sehen doch alle gleich aus.
    Zwischen zwei ordentlich gefalteten Sweatshirts, auf denen noch die Preisschilder klebten, lag ein kleiner Schreibblock, dessen Pappeinband schon halb zerfallen war. Aufgedruckt war das Bild eines weißen Kätzchens; das linke Ohr war mit Kugelschreiber ausgemalt und im rechten stand in schöner Handschrift: RoKa.
    »Kennen Sie den?« Ina hielt Hollstein den Block entgegen, aber nein, er wußte ja nichts und schüttelte erwartungsgemäß den Kopf. Er seufzte, was wie ein Schluchzen klang; »wenn der Junge in irgendwas verwickelt war«, flüsterte er, »müssen Sie mir das sagen, nachher kommen die noch zu mir.«
    »Arbeiten Sie?« fragte Kissel. »Was machen Sie?«
    »Ich bin der Hausmeister hier.« Hollstein nickte vor sich hin.
    »Ich bin auch der Hausmeister von dem Haus gegenüber.«
    »Dann werden Sie ja in nächster Zeit nicht verreisen.«
    »Auch in übernächster nicht.« Er kratzte sich am Bein. »In meinem ganzen Leben hab ich mich noch nicht einmal geprügelt, das wollte ich Ihnen nur sagen. Dann hab ich schon gar keinen umgebracht.« Er rieb sich die Oberarme und tippelte hin und her. »Mein ganzes Leben hab ich bloß geguckt, daß ich nette Gesellschaft habe. Das langt mir. Und der Robin war wirklich nett. Der hat hier die Füße auf den Tisch gelegt, als wär er daheim.«
     
    Als sie das Haus der Pflegeeltern erreichten, war es weit nach Mitternacht. Doch die Tillmanns waren nicht zu Hause. Sie warteten noch eine Weile und Ina fing an, Robins Heft durchzublättern. Er hatte Männchen gemalt, das machte sie manchmal auch, kleine Außerirdische mit rappeldürren Fingern. Auf einer Seite stand E., Sa 12, dann folgten Beschimpfungen, hingekritzelte Flüche, Hure geh sterben, fang an.
    »Du warst unfreundlich«, sagte Kissel. »Eben, beim Hollstein.«
    »Tatsächlich?« Zahlenreihen auf den nächsten Seiten, Lottozahlen vermutlich, denn keine war höher als 49.
    »Ja, du wirst immer mißtrauischer«, sagte er. »Als du angefangen hast, warst du richtig nett. Freundlich. Wenn du heute Vernehmungen machst, siehst du aus, als würdest du hinterm Postschalter sitzen.«
    » Wo? «
    »Postschalter«, wiederholte er. »Wenn man die anspricht, kriegen die auch solche Maskengesichter. Abweisend. Kalt.«
    »Aber du, ja? Du bist ein Ausbund an Herzlichkeit, nicht?«
    Er lachte. »Ich war ja nie anders, du schon. Paß auf, der Hollstein gabelt sich Buben auf, gut. Jetzt ist er aber der Typ, der es nett haben will, der auf diese Scheißgemütlichkeit steht. Andernfalls hätte er ihn gleich auf dem Bahnhofsklo gefickt.«
    »Alex, du brauchst wieder ’ne Frau«, murmelte sie. »Dein Wortschatz verkümmert.«
    »Nein, in diesem Leben nicht mehr. Der hätte Robins Sachen verschwinden lassen, der wäre ganz anders aufgetreten.«
    »Taktik.«
    »Dazu hat er nicht das Format«, sagte er.
    »Eifersuchtsdrama?« Sie blätterte weiter. Robin hatte CDs aufgelistet, Portishead, Smashing Pumpkins, Massive Attack, und auf einmal hatte sie das Gefühl, ihn zu kennen.
    Sie blätterte zurück.

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