Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
verboten.« Der Mann rieb unablässig seine Handflächen gegeneinander, und sein Blick sprang hin und her. »Sagen Sie mir lieber, warum Sie mir nicht helfen. Der Doktor hält sich hier versteckt, und Sie kommen her und tun nichts, wofür sind Sie denn da?«
    »Niemand ist hier.« Nicole lächelte ihn an.
    »Aber der Doktor.«
    »Nein, auch der Doktor nicht.« Langsam und ruhig sprach sie auf ihn ein. »Sie wissen doch, daß wir überall nachgeguckt haben. Das haben Sie gesehen, nicht?«
    Dorian stand neben ihr, ohne etwas zu sagen. Mit den Verrückten sprach meistens Nicole, vielleicht weil sie zwei Ränge über ihm war und manchmal so tat, als wären es drei. Seit einer halben Stunde hörten sie sich sein Gerede vom Doktor an, der ihn verstümmelt hatte und sich nun in seiner Wohnung versteckt hielt, um sein Werk zu vollenden.
    Als Dorian sich zum Dienst meldete, hatten die Kollegen auf der Wache sich wie ein Laientrupp benommen, der für einen Auftritt übt. Erst scharrten sie mit den Füßen, als klebten sie plötzlich am Boden fest, dann rissen sie sich los und kamen auf ihn zu, um kurze Hiebe auf seinen Schultern zu verteilen und Dinge zu murmeln wie »Schlimme Sache«, »Tut mir so leid« oder »Ja – na ja«. Er hatte es hingenommen wie ein junger Hund, der vorgeführt und getätschelt wird. »Ist besser, wenn man arbeitet«, sagte der Schichtleiter, »ist besser, wenn man vergißt.«
    Was denn vergessen, alles? Wie sollte er Robin vergessen, wenn der sich breitmachte in ihm? Die Leute machten sich ja keine Vorstellung. Aber es war schon okay, im Dienst zu sein, weil man dann mit den lebenden Toten nicht so viel reden mußte, Robbi, verstehst du das? Ich hab zu tun. In ihrem Streifenwagen war es heiß und stickig gewesen, und er hatte angefangen, vom Wetter zu reden, Nicoles Lieblingsthema, weil sie so still gewesen war, was überhaupt nicht zu ihr paßte. Irgendein Satz, den alle Leute sagten, wenn die Sonne länger als drei Tage brannte, daß es bald reiche, nicht? Daß ein Gewitter kommen müßte.
    »Oh«, sagte Nicole, »das ist doch ein Klacks. Die höchste monatliche Sonnenscheindauer lag bei über vierhundert Stunden im Juli 1994. Ich glaub, es war auf Rügen.«
    Er drehte sich um. Nicole war schon an der Tür, und als er ihre Schritte auf den steinernen Stufen hörte, sprach ihn der Verrückte noch einmal an. »Herr Wachtmeister, vielleicht ist der Doktor ja hinterm Schrank.«
    »Nein.« Dorian ging auf ihn zu. »Niemand ist hier, warum begreifen Sie das nicht?« Er packte ihn am Hemd und drückte ihn gegen diese Wand voller Bilder. »Meine Kollegin hat es Ihnen zehnmal gesagt, aber Sie glauben ihr nicht?«
    »Lassen Se los«, flüsterte der Verrückte, »hör’n Se doch auf.«
    »Glauben Sie uns nicht?« Der war ja ohne Gewicht, war so leicht wie die Schnipsel Dreck an der Wand, die man nehmen und wegpusten konnte. Dorian zog ihn so nah zu sich hin, daß ihre Köpfe sich berührten, und als er ihn erneut zurückstieß, machte sein Schädel an der Wand ein Geräusch wie Charlys großes Schlagzeug. Charly, ja, so hieß der Drummer in der Band seiner Mutter, und sein Schlagzeug war riesig gewesen, oder vielleicht war es Dorian nur so vorgekommen, als er einmal auf dem Hocker gekniet und mit den Stöcken auf alles eingetrommelt hatte, was vor seiner Nase war. Das mußte während einer Probe gewesen sein, denn bis auf Robin und seine Mutter war der Zuschauerraum leer gewesen. Mit Robin auf dem Arm tanzte sie zu seinem Getrommel, rief Hey, hey, hey, damit er immer schneller schlug.
    Immer schneller, immer lauter, immer heftiger donnerte der verrückte Schädel gegen die Wand; »Hör’n Se doch auf « , kreischte der Mann, »hör’n Seaaahhh –«
    Dann war es still, bis auf das Rascheln, als er an der Wand zusammensackte und zwei Fotos auf ihn fielen, Bilder von grinsenden Kerlen, die hinter nackten Frauen standen.
    Wie ein dumpfer Hall, ja. Hast du gehört, Robbi? Charlys Schlagzeug. Kannst du dich erinnern? Nein, da warst du viel zu klein.
    Stille, dann ein leises Wimmern. Der Mann fing an zu heulen und hielt sich stöhnend den Kopf.
    Robbi, wir müssen hier raus.
    Sollte er noch etwas sagen? Nein, denn der Mann könnte Fragen stellen, die er nicht beantworten konnte, warum haben Sie das getan?
    Ich weiß doch nicht, ich bin Polizist und darf das nicht tun.
    Kein Mensch darf das tun.
    Er wollte schreien und weinen und sich auf den Boden werfen wie die schwarzen Klageweiber, die er im Fernsehen

Weitere Kostenlose Bücher