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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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diese Frau, die ihn auf dem alten Video in die Arme nahm wie das Kostbarste, das sie hatte auf der Welt? Wie war sie zu der Frau auf dem anderen Video geworden, was hatte sie getan? Am frühen Morgen fuhr Ina ein weiteres Mal zum Bahnhof, um sich unter Robins Freunden umzuhören. Ein mageres Kerlchen fiel ihr da auf, genauso klein wie Robin, der so tat, als gehöre er nicht dazu.
    »Hey«, sagte sie, »ich beiß dich nicht.« Sie setzte sich neben ihn auf die Treppenstufe und sah ihm in die Augen; ein bißchen Koks vermutlich und ein leiser Schmerz.
    »Hast du einen Freund verloren«, fragte sie, »oder einfach bloß einen Typ, den du kanntest?«
    »Na ja«, murmelte er. »Wir sind halt Kaffee trinken gewesen und so. In der Disco. Und auf der Dippemess. War dann schon ein Freund.«
    »Erzähl mir was über ihn«, sagte sie. »Wie war er so, mit wem hing er rum?«
    »Ei ja, mit mir.« Er starrte auf ihre Beine. »Hab ich doch grad gesagt.«
    »Hatte er Freier?«
    »Nicht direkt.« Mit beiden Händen fuhr er sich durchs Gesicht. »Also, der ist nie zu Typen aufs Hotel, nie in Wohnungen oder so, hat er alles nicht gemacht. Hat nur manchmal, wenn er Kohle brauchte, einen hier aufm Klo, äh –« Er wußte nicht weiter.
    »Bedient?« schlug sie vor.
    »Sozusagen. Aber nicht oft. Der mochte das nicht. Und er hat sich eh geweigert, sich, äh – also, er hat sich grundsätzlich nie, ehm, wie soll ich sagen –«
    Sie seufzte. »Hat sich nicht bumsen lassen.«
    »Richtig.« Der Junge sah sie an, als hätte sie ihm ein Geburtstagsgeschenk gemacht. »Also nur mit der Hand.«
    Wirklich? Der Pathologe hatte von alten, aber schweren Verletzungen im Analbereich gesprochen. Sie fragte: »Hat er dir mal von Partys erzählt, auf denen es ziemlich brutal zuging?«
    Fragend sah der Junge sie an.
    »SM-Spielchen zum Beispiel, Gewalt, Folter?«
    »Nein«, sagte er erstaunt. »Weiß ich nichts von.«
    »Kennst du einen Hollstein?«
    »Ja klar, den kennen wir alle. Der ist okay, kein Freier.«
    »Nein?«
    »Nein, der bezahlt nicht. Dafür sorgt er gut für einen, ich meine, bei dem kann man nachts ankommen, wenn man wo pennen will, der macht immer auf.«
    Sie versuchte es mit dem Fernsehsatz. »Kannst du dir vorstellen, wer es getan hat?«
    Wieder vertiefte er sich in den Anblick ihrer Beine. »Der Robbi konnte Männer nicht leiden«, sagte der schließlich. »Aber auch keine Frauen.« Erstaunt guckte er sie an und zog die Schultern hoch. »Ich denk, der hat sie alle gehaßt. Besonders gehaßt hat er seine Mutter, aber die bringt ihn ja nicht um.«
    »Erzähl mir davon«, sagte sie. »Was hat er über seine Mutter gesagt?«
    »Ei ja, der hat bloß mal gesagt, er hätte zwei. Er hätte eine Mutter, die wo ihm das Essen hinstellt und ihn versorgt, und eine Sau, die ihn geworfen hat.«
    »Hat er das so gesagt?« Sie fröstelte plötzlich.
    »Ja, ich hab noch zu ihm gesagt, so redet man nicht über seine Mutter, aber er hat gemeint, das wär so ’ne Drecksau, das könnte er.«
    »Was sagt er noch über sie? Hatte er Kontakt mit ihr?«
    Der Junge ließ den Blick zu ihren Brüsten wandern. »Kann ich mir nicht vorstellen, wenn er schon so über sie redet. Gesagt hat er nichts davon.«
    »Er hatte auch einen Bruder«, sagte sie. Leute liefen an ihnen vorbei die Stufen hoch, sie sah Stiefel, Sandalen und Koffer und hörte die Stimme des Jungen: »Ja, er hat mal gesagt, der wär verrückt.«
    »Was heißt das?«
    »Verrückt halt.« Der Junge lächelte. »Dachschaden, Webfehler, Rad ab, Sprung in der Schüssel.«

[ 7 ]
    Die Stadt war voller Spinner. Herumirrende wollten nach Hause und wußten nicht, wo das war, Menschen mit traurigen Augen, die vom Weltuntergang erzählten – am Donnerstag um sechs. In den Straßen brüllten sie herum oder kauerten still in ihren Wohnungen, lauter angefangene Geschichten im Kopf, Geschichten ohne Ende, ohne Ziel. Als Polizist traf man sie alle. Am Nachmittag, kurz vor Dienstschluß, standen Dorian und Nicole in einer liederlichen Wohnung und versuchten einen Mann zu bändigen, der sich einbildete, es sei noch jemand da.
    »Jetzt hören Sie doch«, sagte Nicole, »ich bin dreimal durch die Wohnung, Sie sind hier ganz allein.« Dabei ließ sie den Blick wie im Museum schweifen, denn der Mann war ein Sammler. An den Wänden hingen Nacktfotos, und Dildos in allen Größen standen wie Präsentierstücke in den Regalen. Die ganze Wohnung war eine Pornodeponie.
    »Interessante Auslese«, sagte sie.
    »Ist doch nicht

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