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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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nach deiner Mama gebrüllt, hast um dich geschlagen, wollte Frau Tillmann dich trösten in diesem fiesen, kleinen Loch. Ein Schrank mit ein paar Sachen und ein Tisch, der einem den Rücken verkrümmte, mußte man Aufgaben machen, das war ihr Zimmer bei Tillmanns.
    Vielleicht ist er deshalb dauernd gerannt. Dorian rannte, sobald er draußen war, weil er die hundert Meter in acht Sekunden schaffen wollte, acht-komma-null, weil er weg wollte von Tillmann, raus in die Welt. Wenn Tillmann von der Arbeit kam, legte er sich immer gleich hin und drückte sich ein feuchtes Tuch auf den Kopf. Dann war das Wohnzimmer dunkel, und man mußte still sein. Frau Tillmann sagte, der Papa hat Kopfweh, aber Tillmann war nicht der Papa und Frau Tillmann nur seine häßliche Frau. Bei ihrer Mutter mußten sie niemals still sein, durften sie lärmen und lachen, und Katja hatte sie ja auch nicht weggestoßen, wenn sie Fragen hatten oder schimpfen wollten oder weinen. Man konnte in ihre schützenden Arme fliehen, doch dann war sie weg, und man konnte es nicht mehr tun.
    Als er die Augen öffnete, kam ihm sein Wohnzimmer wunderbar weit vor, weil er hier viel mehr Schritte machen konnte als bei Tillmanns im Loch.
    »Bist du okay?« fragte Ina. Sie saß ihm gegenüber in dem Ledersessel, für den er lange gespart hatte, und sah ihn wieder so an wie auf dem Friedhof draußen. Ja, komm her und bring mich ins Bett, streich mir über die Stirn und laß mich schlafen.
    »Es geht mir gut«, sagte er, was gelogen war, weil sein Bruder ihm eine Schneise durch den Schädel zog, die meistens Leere hinterließ und manchmal merkwürdige Gedanken. Auf der Straße hatte sie seinen Arm genommen, ein Bild, das er sich nicht vorstellten mochte, ein Schutzpolizist, von einer Frau geführt wie ein blinder alter Mann.
    Er sah sich um. Alles war da, die Bilder an den Wänden und die Kerzen auf dem kleinen Tisch, seine Bücher im Regal und die Gitarre auf dem Boden vor der Wand. Alles hatte seine Ordnung, und er mußte sich nicht schämen für den Zustand seiner Wohnung.
    Ina folgte seinem Blick. »Schön hast du’s hier.«
    »Na ja, es fehlen noch ein paar Möbel.«
    »Nein, eben nicht«, sagte sie. »Ich hab zu Hause auch nicht so viel, ich mag es, wenn Platz ist. Mein Freund hat mal gemeint, bei uns sieht’s aus, als könnten wir uns nichts leisten, weil so wenig da steht.«
    Was sagst du, Robbi, jetzt taut sie doch ein bißchen auf, aber das kam, weil es ihm schlecht gegangen war und die Frauen das mochten.
    »Was arbeitet dein Freund?« fragte er.
    »Portier.«
    »In einem Hotel?«
    »Ja, da sind die meistens.« Sie schien ein Grinsen zu unterdrücken, was ihm nicht gefiel. Vielleicht hätte sie auch lieber einen Broker, einen Zahnarzt oder einen Musiker, aber sie hatte halt einen Portier. Konnte man nichts machen.
    »Ich muß laufen können«, murmelte er. »Wir hatten so wenig Platz. Wir hatten nur ein kleines Zimmer bei Tillmann. Wenn man ein Kind ist, geht es ja noch, aber später hockt man aufeinander, ob man will oder nicht. Du kannst ja nicht immer nur draußen sein, und irgendwann geht’s dann los, willst du allein sein oder fängst an zu wichsen oder –« Er hustete. »Na, sorry, das war jetzt –«
    »Nein, ist okay«, sagte sie. »Ich kann’s mir gut vorstellen. Ich meine natürlich – ja.« Sie sah an ihm vorbei. »Wie hat Robin sich mit Tillmann verstanden?«
    »Besser als ich.« Er lächelte. »Tillmann ist ein Arschloch und am Anfang hatten wir Angst vor ihm, aber später hat Robin sich nichts mehr gefallen lassen. Wenn Tillmann gebrüllt hat, hat er zurückgebrüllt und ich glaube, Tillmann mochte das sogar. Er hat mal zu mir gesagt, Robin ist ein Kerl und du bist ein Weichei. Hast du sein Alibi schon überprüft?«
    Darauf sagte sie nichts. Sie sah ihn nur an, als überlege sie sich die nächste Frage genau, doch dann stand sie auf. »Warte einen Moment, ich mach Kaffee, ja?«
    Ja, mach. Und überhaupt: Was hieß denn schon warten, wußte sie denn, was warten war? Er wußte das, er hatte Übung im Warten, denn sein halbes Leben war herumgegangen, indem er Ausschau hielt – deins auch, Robbi, das weißt du doch noch. Zuerst hatten sie jeden Tag in Tillmanns Loch am Fenster gestanden, dann jeden zweiten. Bei jedem Klingeln waren sie zur Tür gelaufen, weil sie dachten, jetzt käme Katja und nähme sie wieder mit. »Für eine Weile«, hatte sie gesagt, doch wie bemaß man das? Frau Tillmann sagte dauernd, sie wüßte es doch nicht und daß

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