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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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gab, bis er sie am Bahnhof sah. Er besaß ein schwarzes Püppchen, von dem seine Mutter sagte, es hieße Mandela, und er hatte gedacht, daß mit dem Püppchen etwas nicht in Ordnung war, weil es doch schwarz war von oben bis unten. Als er dann auf der Straße einen schwarzen Menschen sah, rief er: »Mama, da ist ein Mandela!« So war das mit den Halbtoten auch. Man glaubte es nicht, bis sie zu einem kamen.
    Er setzte sich auf. »Was willst du wissen?«
    Darauf schien sie gewartet zu haben, wollte sich verbeißen wie ein kleiner Kampfhund auf dem Übungsplatz. »Ihr habt also auf dem Land gewohnt, zusammen mit dem Freund eurer Mutter. Nach seinem Tod seid ihr zurückgekommen und habt bei diesem Kemper gelebt, ja?«
    »Nicht lange«, sagte er. »Ich weiß nur, daß er Steffen hieß, so hat sie ihn genannt.« Er sah zur Decke, sah eine Weile hin, während er ihren Blick spürte, ihren kalten, blauen Bullenblick. »Steffen Kemper, na schön.«
    »Gut«, sagte sie gedehnt. »Könnte es sein, daß deine Mutter mit ihm später wieder zusammen war, nachdem ihr in dieses Hotel gezogen seid?«
    Er stand auf und holte die einzige CD, die es von Katja Kammer gab, denn die Oberkommissarin sollte sich ein Bild machen, ein Hörbild, bevor sie ihm tausend Fragen stellte, auf die er keine Antwort wußte. Als die Musik mit einem Schlagzeugsolo einsetzte, dem das Klavierspiel seiner Mutter hinterherhüpfte wie ein neugieriger Spatz einer fetten Taube, fiel ihm der Lärm wieder ein, der ihn eines Nachts in Steffens Wohnung weckte. Kempers Wohnung, gut. Nach Christians Tod hatten sie das Dorf verlassen, und woran er sich erinnerte, waren Frauen mit immer anderen Gesichtern, anderen Stimmen und anderen Betten, Katjas Freundinnen wohl, die ihnen für ein paar Tage Unterschlupf boten. Eine Weile war alles eng und fremd, doch dann waren sie in Kempers großer Wohnung und konnten wieder spielen. Trotzdem war es nicht so schön wie im Dorf, weil Kemper nicht mit ihm kickte, wie Christian es getan hatte, und weil Katja nicht mehr richtig lachte. In dieser lauten Nacht schrie sie sogar, und ihre Stimme übertönte das dumpfe Gepolter, das ihn weckte, laß mich los, Scheißkerl, hör auf. Er wußte nicht, ob er aufstehen durfte, denn Kemper mochte das nicht, Kemper fand, die Gören blieben viel zu lange auf. Er fühlte sich ganz allein und wartete auf die Männlein, die ihn mit krummen Fingern am Schlafanzug packten, weil sie wie Geister aus der Flasche aus dem Licht emporsteigen würden, das er sekundenlang sah. Ein schnelles, flüchtiges Licht war das, dem ein leichter Wind folgte, ein kurzer, kühler Hauch, an den er sich erinnerte, und so viele Jahre später wußte er nicht, wie das zuging, daß man solche Kleinigkeiten im Gedächtnis behielt. Steif im Bett liegend, achtete er auf das neue Geräusch, ein Beben, ein Zittern, das er hören konnte. Seine Mutter war der Geist im Zimmer, der herüberatmete im Dunkeln, und als er Licht machte, sah er sie eng an die Tür gepreßt stehen, in ihren Augen einen Blick, den er nicht kannte.
    »Schlaf doch«, murmelte sie. »Schlaf weiter, Schätzchen, es ist gut.« Aber sie blutete an der Stirn und ließ es übers Gesicht laufen wie eine rote Träne, und am nächsten Morgen war sie immer noch da, kauerte unterm Fenster auf dem Boden und guckte ihn an.
    »Wir ziehen um«, sagte sie. »Wir gehen hier wieder weg.« Das war der letzte Morgen in Kempers Wohnung. Er erinnerte sich nicht an Kempers damaliges Gesicht, er sah nur manchmal ein anderes Gesicht, ein älteres Kemper-Gesicht, das sich verzerrte.
    »Warum fragst du mich so viel?« Er seufzte und strich über den Stoff seiner Uniform. »Wir waren so lange bei den Tillmanns, hast du das vergessen? Wie können wir denn wissen, was sie zu der Zeit gemacht hat? Was hat das alles mit Robin zu tun?«
    Ina sah zu den Boxen hin, aus denen Katjas Stimme kam. Es war ein einfaches Liebeslied ohne große Worte, denn viel wichtiger als der Text war ihr die Musik und der Klang ihrer Stimme, der ausdrückte, was sie fühlte. Vielleicht verstand man sie in fremden Ländern. Selbst Oberkommissarinnen begriffen es doch, siehst du, Robbi? Sie hört einfach zu. Es gefällt ihr. Sie kann es fühlen.
    »Dorian, ich stell mir was vor.« Inas Blick schien von weit her zu kommen. »Robin erzählt dir eines Tages, daß er eine Aufnahme besitzt, ein Video, auf dem er eure Mutter gesehen hat. Es handelt sich dabei um eine – ehm – Veranstaltung, die nicht legal ist.«
    Dorian

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