Sterntaucher
sie aufhören sollten mit Maulen und Fragen und dem Rennen zur Tür. Was meinst du, Robbi, haben wir sie vielleicht beleidigt? Da wusch sie unsere Wäsche und stellte uns das Essen hin, und wir quengelten nach unserer Mutter, die uns versprochen hatte, die Sterne vom Himmel zu holen und zum Leuchten zu bringen in ihrer Hand. Also warteten sie weiter, warteten Weihnachtsfeste hindurch und Geburtstage, warteten ganze Jahre lang, bis Robin eines Tages sagte: »Die Sau kommt nicht mehr.«
Es sah so aus, als hätte er recht, der kleine Wicht, der jünger war und alles besser wußte, denn man konnte doch nicht warten, bis man starb. Die Bilder verblaßten und es tat nicht mehr so weh, doch eines Abends zeigte Tillmann ihnen das Video. Besoffen war er und rief, als er sie umarmte: »Ihr Waisenkinder, ihr armen, ausgesetzten Bälger, jetzt guckt einmal her, eure Mama.«
Und von diesem Abend an war sie wieder da, nein, falsch, sie war nie richtig weg gewesen. Sie stand vor ihm auf einer großen Bühne und er sah die Hände, die sich ihr entgegenstreckten, und er sah die Leute tanzen zu ihrer Musik. Scheinwerferlicht fiel auf ihr Gesicht. Niemand, den er kannte, stand unterm Scheinwerferlicht, kein Mensch war so groß. Sie konnte brennen und steckte mit dem Feuer alle an, das hatte er als kleiner Junge nicht gewußt. Doch das Wichtigste war, daß er sich wieder erinnern konnte, wie sie ihn in den Armen hielt und Lieder sang für ihn allein.
Alles war anders von da an, denn sie war bei ihm. In der Schule war er der einzige mit einer berühmten Mutter, und gab es auch Deppen, die nichts begriffen und nur lachten, so trug er doch ihren Namen. Nein, ein Muttersöhnchen war er nicht, wie denn auch, hatte er doch kaum mit seiner Mutter gelebt. Es war nur so, daß sie anders als die anderen Mütter war, nicht so bieder und so öde, nicht so häßlich, nicht so klein. Darum machte ihm das Gekicher in der Schule auch nichts aus, oder es machte ihm nur dann etwas aus, wenn Robin bei den anderen stand und ihm nicht half. Er blieb allein, bis er seine erste Freundin hatte, die ihm sagte, daß er süß wäre, so still und verträumt. Ja, das erste Mädchen hatte er vor allen anderen, und er hatte sogar das zweite Mädchen, bevor die Wichser auch nur ihr erstes hatten.
Robin wollte keine Freundin und wohl auch keinen Freund, der stänkerte nur. Du bist doch bescheuert, hatte er einmal gesagt, du bist doch bekloppt.
Nein, ich hab mich nur besser erinnert. Aber selbst du wirst dein Leben lang daran gedacht haben, wie wir zu dritt auf das Haus der Tillmanns zugingen, wie Katja unsere Hände nahm und sie wortlos drückte, so sehr drückte, daß es schmerzte, bevor sie ging.
Du blöder Hund. Das hast du nie zugegeben.
»Wo hast du denn Kaffee?« rief Ina aus der Küche.
»Auf dem Brett über dem Herd.«
Eine Weile war es ruhig, bis sie rief: »Okay. Stark oder wie?«
»Ein halber Liter Wasser und drei Löffel Kaffee.« Oh Mann – daneben. Das kam davon, wenn man alleine lebte, da dachte man nur an sich selbst. »Willst du auch?« rief er. »Dann mußt du die doppelte Menge nehmen, vom Wasser und vom Pulver.«
»Dorian«, sagte sie und ihre Stimme klang wieder so dunkel wie am Telefon, »da wär ich jetzt echt nicht drauf gekommen.« Aber sie wollte ja nichts. Sie brachte ein Tablett herein, auf dem nur die Kanne und ein Becher standen, setzte sich ihm gegenüber und guckte ihn an. Er sah auf das Tablett. Milch und Zucker hatte sie vergessen.
»Du bist gut organisiert«, sagte sie. »Bei mir zu Hause ist die Küche chaotischer.«
»Kochst du gerne?«
Sie sah ihn einen Moment an, als hätte sie die Frage nicht verstanden, und sagte dann: »Nö.«
»Kocht dein Freund?«
»Manchmal«, sagte sie nur. Aber das stimmte schon, er war gut organisiert. Bisher war er das jedenfalls gewesen, hatte doch ein ganz normales Leben gelebt, doch nun fiel alles auseinander. Gestern nachmittag hatte er sich in der Buchhandlung ein Buch über Verrückte angesehen. Da stand, daß es Verrückte gab, die Stimmen hörten, doch so war das nicht bei ihm, weil Robin ja nicht bloß Stimme, sondern Leib und Seele war. Er existierte, auch wenn man seinen Körper nicht mehr sah, und weil er allein mit Robin war, machte es keinen Sinn, anderen Leuten davon zu erzählen. Man mußte die Erfahrung selber machen, erst dann hörte man auf zu lästern und zu sagen: So etwas gibt es doch nicht. Als kleiner Junge hatte er auch nicht geglaubt, daß es richtige Schwarze
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