Der Duft Der Wüstenrose
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F anny verknotete ihr Hutband und kämpfte sich gegen den starken Wind über das Deck vor bis zur Reling, wo sie sich mit beiden Händen festhalten musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Nach einunddreißig Tagen auf See wurde ihr wenigstens nicht mehr übel, egal wie sehr das Schiff unter ihr schwankte. Neugierig betrachtete sie die Küste von Deutsch-Südwest, deren Dünen im Abendlicht orangerot wie Stein gewordene Flammen aus dem Wasser ragten und eine Mischung aus Vorfreude und Vertrautheit in ihr auslösten, die sie sich nicht erklären konnte.
Sie atmete die von Gischt durchsetzte Luft so tief ein, wie es ihr eng geschnürtes Korsett eben noch erlaubte, und leckte sich dann das Salz von ihren Lippen, die von den Strapazen der Überfahrt spröde geworden waren.
Morgen früh sollten sie die Küste erreichen, wo sich ihr ganzes Leben ändern würde. Und zwar auf noch einschneidendere Weise, als sie es sich zu Beginn ihrer Reise vorgestellt hatte. Sie hatte ihr Wort gegeben. Ein Versprechen, von dem es nach Charlottes Tod kein Zurück mehr gab.
Der Wind zerrte an ihrem Kleid und wirbelte die Unterröcke hoch, aber Fanny machte keine Anstalten, sie wieder herunterzuschlagen. Es gefiel ihr, all die Dinge zu tun, die bei ihren Mitschwestern im Kloster blankes Entsetzen ausgelöst hätten: Endlich laut sagen, was sie wirklich dachte, endlich ein Korsett tragen und wie eine Frau aussehen, end lich frei sein und nur das tun, was sie selbst für richtig hielt.
Sie betrachtete abwesend die laut flatternden Spitzenbänder ihrer Unaussprechlichen und sah erneut sehnsüchtig zum Land hinüber. Unter Umständen konnte sich morgen in Swakopmund wieder alles ändern, doch das hing nicht mehr nur allein von ihr ab.
Abgemagert bis auf die Knochen hatte Charlotte sich an sie geklammert und sie angefleht, dafür zu sorgen, dass Ludwig, Charlottes Verlobter, nicht umsonst zum Schiff käme. Und Fanny versprach es, zuerst in der selbstverständlichen Annahme, dass dieser Fall ohnehin nicht eintreten und Charlotte wieder gesund werden würde, denn ein Leben ohne das glucksende Lachen von Charlotte und ohne ihre heitere Klugheit konnte sich Fanny gar nicht mehr vorstellen.
In den achtzehn Jahren im Kloster hatte Fanny immer davon geträumt, eine echte Freundin zu haben, eine, der sie ihre geheimsten Gedanken anvertrauen konnte, ohne Angst haben zu müssen, verraten zu werden. Doch sie muss te zwanzig Jahre warten, bis sie völlig unverhofft Charlotte kennengelernt hatte. In der Frauenkolonialschule in Witzenhausen, wo sie beide einen Hauswirtschaftsvorbereitungskurs für die Kolonien absolvierten.
Fanny war von der Missionsgesellschaft nach Witzenhausen geschickt worden, Charlotte von ihrer Mutter, die Angst gehabt hatte, eine Tochter aus gutem Hause könnte dem harten Alltag einer Farmersfrau in Südwest nicht gewachsen sein.
Gleich am ersten Abend, während eines Vortrages über »Die Erziehung der Heiden zu ordentlichen Dienstboten und Christenmenschen«, hatte Charlotte ihr zugezwinkert und hinter vorgehaltener Hand so demonstrativ gegähnt, dass Fanny nur mühsam ein Lachen unterdrücken konnte. Von diesem Moment an hatte festgestanden, dass sie Freundinnen werden würden.
Trotzdem fragte Fanny sich nun, welcher Teufel sie geritten hatte, ihrer Herzensschwester ein so folgenschweres Versprechen zu geben, das sie jetzt, wo Charlotte tot war, nicht einfach brechen konnte. Trotzdem vermochte Fanny sich noch nicht vorzustellen, dass sie sich wirklich für Charlotte ausgeben und deren Verlobten heiraten würde.
Plötzlich flammte die karge Küste im Abendlicht lodernd auf, sogar das Meer funkelte orange und rosa. Unwillkürlich betastete Fanny ihr Glasperlenarmband, das sie niemals auszog. Es war ihr einziger, ihr kostbarster Besitz. Sie hielt den linken Arm hoch und vergewisserte sich – tatsächlich, einige der Perlen schimmerten genauso wie das Land, das in der Abendsonne vor ihr lag. Bestimmt war das ein gutes Zeichen. Ich werde es schon schaffen, das Richtige zu tun, beruhigte sie sich.
Der Wind schob ihren Hut trotz des Bandes hinunter in ihren Nacken, und Fanny überlegte einen kurzen Moment, ob sie ihn abnehmen, ihr Haar lösen und es dem Wind überlassen sollte. Aber das hätte ihr nur in Gegenwart von Charlotte Freude bereitet, allein kam sie sich albern vor. Charlotte hätte natürlich nicht mitgemacht, sondern den Kopf geschüttelt und ihr zum hundertsten Mal gesagt, sie würde sich viel mehr wie ein
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