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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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an ihm vorbei in die Wohnung ging, und als sie herauskam, hatte sie gezittert. Doch dafür gab es jetzt ja keinen Grund, denn bis auf das verschmierte Blut und die Löcher in seiner Haut sah Robin doch ganz anständig aus, und Dorian freute sich ein bißchen, daß sie vor der Leiche seines Bruders nicht in einem solchen Zustand war.
    »Florian«, sagte sie leise, »bitte.«
    »Ich heiße Dorian. Dorian Kammer. Es gibt ein Buch von Oscar Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray, kennst du das?«
    Sie schüttelte den Kopf, fragte: »Dorian, was ist passiert?«
    »Ich hab es gelesen«, sagte er. »Hat mir aber nicht gefallen. Ja, dieser Mann draußen, der mit dem Hund, er hat uns verständigt, daß hier ein Toter liegt. Reihe sieben.« Er rutschte auf der Bank zurück, bis er ihre Knie sehen konnte. »Ich bin hin, Nicole ist draußen bei dem Mann geblieben, weil der so aufgeregt war, ja, und da hab ich Robin gesehen. Ich hab ihn angefaßt. Die Hand war so kalt.« Er durfte die Toten nicht berühren, das fiel ihm jetzt ein, ohne Handschuhe durfte er es nicht tun. Er hatte es aber schon getan, einmal vor den Augen der Kommissarin hier, als er einen Erhängten abschnitt und zusammen mit dem Totenträger auf die Bahre hievte. Sie hatte den Kopf gesenkt und gemurmelt: »Sieht ja aus, als hätte der zwei Zungen.«
    Als er sich umdrehte, sah er Kissel. Gegen einen Baumstamm gelehnt, hörte er ihnen zu, doch das störte nicht weiter, und Dorian konzentrierte sich auf Inas Fragen, Ermittlerfragen, die er als Schutzpolizist nie stellte. Er war im Streifendienst und nahm Zusammenstöße auf, zwischen Menschen und zwischen Autos, er ging in die Wohnungen, wenn einer durchdrehte und alles zusammenschlug.
    Ermittlerfragen, darauf lief es hinaus. Er konnte sie aber kaum beantworten, weil sie ihn nach Robins Freunden fragte, die er nicht kannte, und nach Robins Leben, das ihm fremd geworden war. Er beugte sich vor, zog an seinen Schnürsenkeln und sah der Kommissarin von unten ins Gesicht. War sie noch immer mit diesem langhaarigen Mann zusammen, der sie damals vom Polizeifest abgeholt und ihn so mürrisch angesehen hatte? Was wirst du tun, wollte er sie fragen, wenn du nach Hause kommst? Wirst du dich an ihn klammern und alles vergessen, den Friedhof und das harte Licht, das auf die Leiche fiel, und Robins kalte, graue Haut? Er würde das so machen, wenn er eine Freundin hätte, doch hatte er keine zur Zeit. Wieder roch er ihr Parfüm, eins, das er nicht mochte, und sah, wie ihre Finger sich ab und zu bewegten, als wären sie eingeschlafen, ohne Gefühl.
    Tote, kalte Hände. »Vielleicht«, fing er an und spürte, wie ihm die Wörter wie giftige Käfer über die Zunge krochen, »vielleicht ist Robin bestraft worden.«
    Er sah hoch. Kissel stand noch immer gegen den Baumstamm gelehnt, ohne etwas zu sagen. Er hatte den Körper eines Boxers, stämmig und wendig zugleich, und jedesmal, wenn Dorian ihn traf, hatte er das Gefühl, dieser Mann könnte töten, ohne mit der Wimper zu zucken, lautlos und lächelnd. Kissel gehörte zu den Männern, denen er nachts auf einem Friedhof auf keinen Fall begegnen wollte.
    »Bestraft worden«, wiederholte die Kommissarin seine Worte, und er überlegte, wie man ihre Haarfarbe nannte, dunkelblond, brünett? Er mochte rothaarige Frauen.
    »Ja«, sagte er, »Robin hat merkwürdige Leute gekannt, er ist auch bei Leuten untergekrochen, die er nicht mochte, deshalb meine ich ja, daß sie merkwürdig waren.« Wieder sah er auf ihre Knie, weil es komisch war, daß Frauen, wenn sie kurze Röcke trugen, automatisch wußten, wie sie die Beine stellen und vor allem, wie sie sie nicht stellen durften. Trugen sie Hosen, saßen sie ganz anders da, zwangloser, doch im Rock hockte scheint’s ein Männlein, das ihnen befahl: Halt die Beine zusammen! »Ich hab auch schon bei Mädchen gewohnt«, sagte er, »aber dann mochte ich die auch. Robin war anders.«
    »Welche Leute?« fragte sie. »Welche Leute hat er gekannt?«
    »Ich weiß es doch nicht.«
    »Welche Art Leute, was hat er erzählt?«
    »Er hat sie Gesindel genannt.« Dorian lächelte. »Gesindel mit Geld und Gesindel ohne. Er sagte, darauf reduziere sich das Volk.«
    Als sie wissen wollten, wann er Robin zuletzt gesehen hatte, schloß er die Augen, weil er ordentlich antworten, sich erinnern wollte, auch wenn es manchmal schwer war, sich zu erinnern. Robin war in den Taubenschlag gekommen, Dorians Stammkneipe, in der er manchmal Gitarre spielte, nur so zum Spaß und

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