Sterntaucher
Ina sah ihn an. Tillmann verzog den Mund, als würde er gleich heulen.
»Machen Sie aus«, sagte Kissel. »Aber Sie geben uns die Bänder. Beide, auch das, was Sie da noch im Schrank haben.«
»Das hat sie uns damals gegeben«, sagte Regine Tillmann. »Das ist privat, also nicht kriminell.« Sie sah zu, wie ihr Mann Kissel das zweite Video überreichte. »Das sind Zusammenschnitte von ihr und den Jungs und anderer Kram. Sie wollte, daß wir es ihnen vorspielen, damit sie ihre Mutter nicht vergessen.«
»Was passiert jetzt?« Klaus Tillmann senkte den Blick. »Ich wollte Ihnen den Dreck sowieso geben, zusammen mit einer Anklageschrift. Ihnen und der Staatsanwaltschaft und der Presse. Ich habe auch meine Anwältin informiert, die Schrift ist aber noch nicht fertig, ehm –«
»Sie möchten wissen, ob es strafbar ist, solches Zeug zu besitzen«, sagte Ina. »Ja, ist es, hat Ihre Anwältin Ihnen das nicht erzählt?«
»Aber ich wollte es doch anzeigen, kommen Sie, ich zeige Ihnen den Entwurf der Anklageschrift, ich hab sie im PC.«
»Sie haben gar keine Anklageschrift zu erstellen«, sagte sie. »Das machen andere Leute. Woher haben Sie das Band?«
»Von Robin.« Tillmann hustete.
Sie lehnte sich zurück, über ihrem Kopf, wie ein flirrender Pfeil, Kissels einsetzendes Gebrüll.
»SIE HABEN WOHL DEN ARSCH OFFEN«, fing er an, »das erzählen Sie so nebenbei?«
Ina sah zur Decke. Das würde jetzt noch drei, vier Sätze lang so weitergehen, und was sie wirklich hörte, war der stumme Schrei der gefolterten Frau. War das Robins Mutter, die wie unbeteiligt im Hintergrund stand und von deren sogenanntem Ruhm sie keinen Schimmer hatte?
Du kennst sie bestimmt, hatte Dorian Kammer gesagt, es fällt dir jetzt bloß nicht ein.
Und Robin? Robin Kammer hatte KaKa 1000- und KaKa 500, - in sein Notizbuch geschrieben und den Namen des Kollegen von der Sitte notiert. Also doch. Er hatte sie erpreßt, oder nicht? Der kleine Engel. Sie sah ihn auf dem Seziertisch der Gerichtsmedizin liegen, mit diesem blaßblauen Schatten auf den geschlossenen Lidern.
Tillmann wirkte eingeschüchtert von Kissels Geschrei. Ja, erzählte er leise, vor zwei Monaten hatte er Robin damit erwischt. Der Junge war ja längst ausgezogen, doch weil er niemanden kannte, bei dem er das Video abspielen konnte, war er kurzerhand in Tillmanns Haus zurückgekehrt, kam ohne Schlüssel, über die Terrasse ins Haus. Er hatte nicht damit gerechnet, daß Tillmann zu Hause war, und strenggenommen war es ein Einbruch gewesen, hatte er doch die Terrassentür aufgestemmt. Es war aber so mit Robin – Tillmann lächelte leicht – er war ein kleiner Cooler, ließ sich seinen Schrecken nicht anmerken, sondern sagte nur: Schau mal her, das ist die Kammer. Woher er das Video hatte, wollte er nicht sagen, auch nicht unter Androhung von Gewalt.
»Wie konnte er sie erkennen?« fragte Ina. »Wann hat er sie zuletzt gesehen?«
»Ich weiß das alles nicht.« Tillmanns Stimme war jetzt fast ein Wimmern. »Und er hat mich angebrüllt, daß er noch eins hätte.«
»Noch ein Video?« fragte Kissel.
»Du Arschloch«, sagte Tillmann leise, »ich hab noch eins, bilde dir bloß nichts ein. Das hat er gesagt, und das waren die letzten Worte, die ich von ihm gehört habe. Seitdem habe ich ihn nicht wieder –« Als er sich zum Fenster drehte, hörte man ihn heftig atmen.
»Und seitdem arbeiten Sie an der Anklageschrift«, sagte Ina. »Oder wollten Sie die Kammer damit erpressen?«
»Hören Sie auf«, flüsterte Tillmann. »Ich habe sofort meine Anwältin informiert, daß ich strafbares Material besitze. Wie ich schon sagte, es handelt sich um Frau Dr. Ellen Severin.«
»Das sagten Sie noch nicht.« Ina stand auf. »Was sind Sie von Beruf, Herr Tillmann?«
»Kaufmann.« Er rieb die Handflächen gegeneinander. »Damals in der Musikindustrie habe ich ein Label betreut.«
»Und was machen Sie jetzt?«
»Ich arbeite in der Buchhaltung eines Unternehmens.« Doch das schien kein Thema, bei dem er bleiben wollte. Er streckte einen Finget vor, und ihr fiel auf, wie kleine Hände er hatte für einen großen Mann. »Sehen Sie mal, ich habe Robin ernährt.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Jetzt kümmern Sie sich mal darum, was seine wirkliche Mutter mit ihm gemacht hat.« Er sah Ina an, als verrate er ein Geheimnis. »Sie war ganz nett, früher mal. Die Kammer, meine ich. Damals galt sie als sehr talentiert, hat selber komponiert, wissen Sie?«
Nein, wußte sie nicht. Damals
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