Stiefkinder der Sonne
wohl. Die Erinnerungen nämlich stürmten auf ihn ein.
Das Leben (war es wirklich ein Leben?) begann mit Pauline. Vor fünf Jahren, als sie mit einem ihrer hohen Absätze in einem Metallrost am Strand hängengeblieben war. Es war ein Tag im Spätherbst. Er rettete ihren Schuh und besaß die Kühnheit, ihr heiße und köstlich aromatische Maronen zu kaufen. Sie unterhielten sich. Er brachte sie zu ihrer überraschend bequemen Wohnung zurück, die sie am Notting Hill Gate mit zwei anderen Frauen teilte.
Es gab weitere Treffen. Regelmäßige Treffen. Sie arbeitete in der Werbung und war voller Ehrgeiz. Er arbeitete bei einer Ölgesellschaft und war voller Frustration. Sie waren beide der Meinung, daß er talentiert sei.
Greville war der Meinung, er könne Gedichte schreiben, und er war sogar bereit, sich der Prostitution des Romanschreibens hinzugeben. Pauline war der Meinung, daß er Reklametexte schreiben könne. Erstklassige Werbetexte für erstklassige Werbung. Sprüche, um Führungskräfte zu verführen.
Bevor er wußte, was geschah, hatte er eine Stelle mit dem doppelten Lohn und der halben Arbeitszeit. Der große und ruhmreiche Umhang des Werbefachmanns legte sich angenehm um seine Schultern. Er dachte immer noch, das habe mit seinem Talent zu tun. Erst viel später – nachdem sie geheiratet hatten – entdeckte er, daß es mehr etwas mit Paulines Talent zu tun hatte.
Ihres war eindrucksvoller. Es bestand aus einem legeren Umgangston mit Chefs und Klienten, einer Vorliebe für Schlafzimmer, einem Körper, an dem irgendwie ein Zettel mit einer schriftlichen Garantie befestigt zu sein schien, und aus einem Gehirn wie ein Elektronenrechner.
Greville kam schnell nach oben, und das Komische dabei war, daß er zwei Jahre lang nicht wußte, wer ihm dafür die Leiter hielt.
Er entdeckte das auf die allergewöhnlichste Weise – rein zufällig, als er von einer Konferenz in Paris einen Tag zu früh zurückkam. Zu dieser Zeit hatten Greville und Pauline eine Wohnung in einem neuen Hochhaus in Holland Park. Es war eine schöne Wohnung, hoch oben, mit Blick auf London und mit zwei Schlafzimmern.
Greville war kurz vor elf am Flughafen in London angekommen. Er schloß die Wohnung leise selbst auf, als es kurz vor Mitternacht war. Er hatte sich so verhalten, weil er Pauline nicht stören wollte, falls sie schon schlief. Im Wohnzimmer standen die Überreste von Drinks – zwei Gläser – und der blaue Dunst von Zigarettenrauch hing in der Luft.
Zuerst war er froh, daß Pauline Besuch gehabt hatte. Er nahm an, daß er den Besucher gerade verpaßt hatte. Doch dann sagte ihm Paulines Stimme – erregt und wortlos –, die gedämpft aus dem Schlafzimmer kam, daß er den Besucher doch nicht ganz verpaßt hatte. Es war eigentlich logisch, daß die zweite Stimme dem Mann gehörte, der ihm die Gelegenheit verschafft hatte, auf der Konferenz für ein europäisches Projekt mit den Großen in Tuchfühlung zu kommen.
Unschlüssigkeit. Masochismus. Feigheit.
Greville hörte den Geräuschen aus dem Schlafzimmer zu. Er verurteilte sich selbst dazu, zuzuhören und eine schreckliche Genugtuung in seiner eigenen Erniedrigung zu finden. Dann, als alles wieder still war, ging er einfach weg.
Er suchte sich ein Hotel beim Marble Arch, verbrachte die Nacht mit dem Trinken von zollfreiem Cognac und kam zur verabredeten Zeit zu Pauline zurück. Er sagte ihr nie etwas davon, und er kam nie mehr unerwartet von einer Reise zurück. Danach aber zählte er mit. Er ließ es sie merken, daß er mitzählte, damit sie nicht zu unvorsichtig wurde. Sie wurde nie unvorsichtig.
Er erhielt Aufträge, alle möglichen Aufträge, von Stahl bis Wäsche. Auch Privataufträge. Und Beraterverträge.
Er war nicht mehr nur ein einfacher Werbefachmann – sollten doch andere die Arbeit machen. Er beschäftigte sich mit der Politik und der Strategie. Und weiter kam das Geld.
Holland Park, Portman Square, Victoria und jetzt eine Status-Wohnung für achtzehntausend Pfund in Chelsea. Ein Picasso und skandinavische Möbel. Erfolg. Erfolg. Erfolg …
„Liebling“, sagte Pauline und zerschnitt seine Träumerei im Beschwichtigungston Nummer eins. „Ich habe mich mit Wally Heffert unterhalten.“
„Das muß angenehm für dich gewesen sein.“
„Na ja, er ist ein ganz lustiger alter Typ.“
Langweilig, geschieden und stinkreich, dachte Greville. Wally Heffert, König von Heffert, McCall & Co. Oberster Wächter über drei Tiefkühlfirmen, ein Dutzend
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