Still und starr ruht der Tod
vorgeschlagen.« Horst zeigte mit dem Löffel auf den Band. »Es geht um zwei Frauen, die durch Europa reisen. Dabei ändert sich ihr Leben.«
Na toll, dachte Simone.
»Eine von denen ist Künstlerin. Deswegen fand Walli die Sache interessant.«
»Sind Sie auch Künstler?«, fragte Simone, um überhaupt irgendwas zu sagen.
»Ich arbeite bei der Sparkasse. Kredite, Immobiliengeschäfte. Nicht so prickelnd, was?« Horst lachte. »Haben Sie das Gulasch noch nicht probiert? Ist prima.«
Simone legte das Buch weg und tunkte den Löffel in die rotbraune Pampe auf ihrem Teller.
»Scharf«, stieß sie hervor, als sie wieder Luft bekam.
»Margots Spezialität. Wenn sie einlädt, freuen wir uns immer besonders auf das Essen.« Zufrieden schaufelte Horst das Gulasch in sich hinein.
»Sie ist nicht zufällig hauptberuflich Köchin?« Nichts war unwahrscheinlicher, doch Simone wollte das Gespräch irgendwie in Gang halten.
»Quatsch! Margot arbeitet in der Tourist-Info. Führt Gäste durch den Forchheimer Kellerwald und so.«
Simone fand, dass das Gulasch scheußlich schmeckte. Die Schärfe konnte den Geschmack nach Fertigsuppe kaum überdecken. Da waren eindeutig zu viele Würfel Instant-Brühe in den Topf geraten. Neben den Fleischstücken schwammen dicke Zwiebelteile, grobe Paprikastücke, von denen sich die Haut ablöste, und ganze Tomaten, die kurz zuvor noch in einer Konservenbüchse eingesperrt gewesen waren. Simone dachte daran, wie sie mit ihrer Nachbarin Claudette ein paarmal im letzten Sommer in aller Herrgottsfrühe auf den Markt nach Saintes-Maries-de-la-Mer gefahren war, weil Claudette dort jemanden kannte, der die frischesten und besten Austern verkaufte.
Die Musik von Shakira mochte Simone eigentlich, aber der zuckende Günther in seinen Latschen verleidete ihr den Musikgenuss. Sie suchte einen freien Platz, um den halb vollen Teller abzustellen. Sie hatte Durst.
»Hättest du was zu trinken?«, fragte sie Margot, die gerade ein paar Bücher aus dem Regal nahm und an Irmi weiterreichte.
»Klar. Steht alles in der Küche.«
Simone war froh, aus dem Wohnzimmer wegzukommen. In der Küche stand das Fenster offen. Eiskalte Luft wehte herein. Auf der Fensterbank stand ein Fünf-Liter-Weinkarton im Schnee. Simone sah sich nach Gläsern um.
»Puh, frisch hier!« Ivo stolperte in die Küche. »Brauchst du ein Glas?« Er riss eine Schranktür auf. »Such dir was aus.«
»Danke.« Simone nahm einen Römer und pumpte Wein hinein. Vielleicht half ihr der Alkohol, um zu entspannen.
»Da schließe ich mich gleich an. Zum Wohl. Willkommen beim Literatur- und Fresszirkel.«
»Danke. Nett, euch kennenzulernen.«
»Rita hat erzählt, du lebst in Scheidung?«
»Hat sie das?« Verdutzt sah Simone den Mann an.
»Ja, hat sie. Sollte sie nicht?«
»Es ist kein Geheimnis. Ich habe nur keine Lust, im Urlaub an Unerfreuliches zu denken«, kriegte Simone die Kurve. Jahrzehnte der Auseinandersetzungen mit Jean-Claudes Familie hatten ihr Talent, sich nichts von dem, was in ihr vorging, anmerken zu lassen, perfektioniert. Diesen Triumph, in ihrem Gesicht lesen zu können, wie verletzt sie von den antideutschen Ansagen war, hätte Simone dem alten Mathieu und seiner blaustrümpfigen Tochter nicht gegönnt.
»Verstehe. Du gehst also nach Frankreich zurück?«
»Sicher.«
Warum sollte ich eigentlich zurückgehen, dachte Simone, während sie lässig eine Salzstange aus einem Bierkrug nahm, den Horst ihr hinhielt. Alles steht mir offen, oder nicht? In Deutschland zu bleiben, schien ihr plötzlich vollkommen unattraktiv. Natalie war in Frankreich. Ihr Haus stand in Frankreich. Ihre Ehrenämter, ihr … Simone fühlte einen Kloß im Hals und trank rasch einen Schluck Wein. »Kennen Sie die Provence?«
»Du. Kennst du. Wir duzen uns hier.«
»Pardon, ist mir kurz entfallen.«
»In Frankreich ist man wohl etwas steifer, was?« Ivo lachte. Sein Bauch schwabbelte dabei.
Wenn du wüsstest, dachte Simone.
»Erzähl mal was über das Buch, das wir heute Abend diskutieren«, gab sie cool zurück. »Ich hatte leider keine Chance, es vorher zu lesen.«
Ivo beugte sich vertraulich vor. »Ich hab’s auch nicht gelesen. Ehrlich gesagt, die Literatur ist mir nicht mehr so wichtig. Ich nehme an den Treffen teil, weil ich gern esse.« Er lachte brüllend. »Savoir vivre, so nennt man das in Frankreich, oder?«
»Ganz genau!« Simone schüttelte es innerlich. Wegen diesem Gulasch wäre sie nicht einmal von einem Zimmer ins andere
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