Stille Kuesse sind tief
aus. Du bist gar nicht sauer auf mich. Ich glaube nicht einmal, dass du sauer auf Annabelle bist. Du hast ein Problem, und du solltest langsam mal herausfinden, was das ist und wie du es lösen kannst.“
Mit diesen Worten verließ er den Stall.
Shane starrte ihm hinterher, bevor er sich wieder an die Arbeit machte. Doch irgendwie hatte er weder Lust noch Energie. Das, was sein Bruder gesagt hatte, schwirrte ihm so lange im Kopf herum, bis er sich fragte, ob an Clays Worten vielleicht etwas Wahres dran war. Suchte er nach Problemen, wo es gar keine gab, oder sah er die Dinge, wie sie waren? Und wenn das alles nur die Nachwirkungen seiner ersten Ehe waren, wie konnte er diesen Ballast loswerden und an jemand anderen glauben?
Annabelle lief in ihrem Wohnzimmer auf und ab. „Ich muss mich übergeben.“
Charlie musterte sie skeptisch. „Dramatisierst du jetzt, oder meinst du es ernst?“
„Ich weiß nicht.“ Sie presste sich eine Hand auf den rebellierenden Magen. Seit der Hochzeit zwei Tage zuvor fühlte sie sich nicht wohl. Sie hätte gern dem Champagner die Schuld gegeben, wusste aber, dass das Quatsch war. Vielleicht waren es die Hormone.
Sie drehte sich zum Sofa und überlegte, ob sie sich setzen sollte, merkte aber, dass sie viel zu aufgeregt war, um still sitzen zu können. Auf und ab zu gehen machte die Sache ein wenig einfacher.
„Das ist alles furchtbar“, sagte sie und schaute Charlie an. „Richtig, richtig furchtbar. Dabei hat er gerade angefangen, mir zu vertrauen.“
„Shane“, sagte Charlie in einem Ton, der andeutete, dass sie noch immer nicht ganz im Bilde war.
Annabelle erinnerte sich daran, dass sie ihre Freundin angerufen und gebeten hatte vorbeizukommen, ohne ihr zu sagen, warum. Also musste sie anfangen, die Sache zu erklären.
Frustriert ließ sie sich auf den Polsterschemel vor Charlies Sessel sinken. „Shane war schon einmal verheiratet.“
„Das weiß ich.“
„Soweit ich mitbekommen habe, war seine Ex ziemlich schrecklich. Wild und untreu. Shane ist nicht der Typ, der schnell aufgibt. Wenn er sein Wort gegeben hat, dann bedeutet ihm das etwas. Also hat er versucht, die Ehe zu retten, während sie ihn immer wieder betrogen hat, sodass es dann irgendwann doch vorbei war.“
„Eigentlich verdient fast jeder eine zweite Chance“, meinte Charlie vorsichtig. „Aber wenn er jetzt mit ihr abgeschlossen hat, wo ist dann das Problem?“
„Manchmal denkt er, ich sei wie sie. Dass ich wild und flatterhaft wäre.“
„Bist du aber nicht.“
„Ich weiß, aber das erste Mal, als er mich gesehen hat, war er gerade hierher zurückgekehrt. Es war an dem Abend, als ich in Jo ʼ s Bar auf dem Tresen getanzt habe, du weißt schon, den Tanz der glücklichen Jungfrau. Da hat er einen falschen Eindruck von mir bekommen.“
„Ah, ich verstehe. Aber inzwischen kennt er dich doch. Er vertraut dir.“
„Er hatte gerade angefangen, mir zu vertrauen. Glaube ich. Hoffe ich. Aber dann ist Lewis aufgekreuzt, und es stellte sich heraus, dass wir doch gar nicht geschiedenwaren.“
„Das war nicht deine Schuld.“
„Stimmt, aber es war ein wenig unangenehm. Es kommt mir so vor, als wenn jedes Mal, wenn er mir wirklich nahekommt, irgendetwas passiert.“
Charlie starrte sie an. „Und was ist jetzt passiert?“
„Ich bin schwanger.“
Charlie klappte der Mund auf. Sie schloss ihn wieder und fluchte leise. „Ernsthaft?“
Annabelle kämpfte gegen die Tränen an. „Ja. Ich hab ʼ s heute Morgen rausgefunden. Auf der Hochzeit bekam ich auf einmal so eine Vorahnung.“ Sie zögerte. Nevada hatte die freudigen Nachrichten noch nicht verbreitet, und sie wollte ihr nicht zuvorkommen. „Ich hatte mir gerade überlegt, wie toll es mit Shane läuft, als ich plötzlich ins Grübeln kam. Kaum hatte die Drogerie aufgemacht, bin ich hin und habe mir einen Schwangerschaftstest geholt.“
Sie presste die Lippen aufeinander. „Ich freue mich natürlich über das Baby. Es ist ein Schock, aber ein schöner. Offen gestanden kann ich das noch gar nicht richtig verarbeiten, weil ich mir solche Sorgen darüber mache, wie Shane es aufnimmt. Gerade jetzt, wo er angefangen hat, mir zu vertrauen, weißt du? Bestimmt glaubt er mir nicht, dass es ein Unfall war. Bestimmt nimmt er jetzt nur noch das Schlimmste von mir an. Er geht vermutlich davon aus, dass ich es absichtlich drauf angelegt hätte.“
Was nicht wahr ist, dachte sie traurig. Sie hatte absolut keine Ahnung gehabt. Daher war sie sofort zu ihrer
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