Liebe auf krummen Beinen
Ich heiße Blasius und stamme aus der Zucht Rohmarken, irgendwo in Bayern. Meine Erinnerung reicht nur bis zu einem bestimmten Punkt meiner Jugend zurück: Ich lag zwischen einem Bruder und zwei Schwestern am warmen Bauch unserer Mutter und trank.
Dieser Vorgang wiederholte sich so oft und so regelmäßig, daß er sich mir als erster einprägte. Die Lust am Fressen ist mir übrigens bis zum heutigen Tage geblieben.
Ich erinnere mich weiter an Frau von Quernheim. Ihr gehörte unsere Zucht. Sie tat alles für uns und achtete peinlich genau darauf, daß wir unseren Stundenplan einhielten. Sie war von großer, achtunggebietender Gestalt und trug Kleider aus schwerer Seide. Ihre Augen waren freundlich, aber sie sahen alles, und es fiel uns schwer, etwas vor ihnen zu verbergen. Sie konnte plötzlich und überraschend hintereinem stehen; oft war ich erschrocken, wenn sie mich mit ihrer mahnenden Stimme bei irgendeinem Unfug ausschimpfte. Nur an Festtagen hörte man sie von weitem, weil sie dann bunte, klappernde Steinchen auf der Brust trug.
Frau von Quernheim wohnte in einem weitläufigen Haus. Es enthielt viele Zimmer, in denen man sich verlaufen und viele Möbel, unter die man kriechen konnte. Alles roch alt und ehrwürdig, und in der vornehmen Stille klang unser Gebell aufdringlich und unangebracht. In der Küche, die bald zu unserem Lieblingsaufenthalt wurde, hantierte die dicke, gutmütige Angela. Frau von Quernheim schimpfte oft mit ihr, wenn sie uns mehr zu fressen gab, als wir kriegen sollten.
Das Haus lag in einem parkähnlichen Garten. Als wir größer geworden waren und uns daran gewöhnt hatten, unsere Geschäfte nicht mehr auf Frau von Quernheims echten Perserteppichen zu erledigen, sausten wir oft stundenlang durch Buschwerk und über üppige Rasenflächen. Herrlich war es, wenn das Gras an der Bauchhaut kitzelte. Bald kannte ich jeden Weg und jede Wurzel. Auf der Straße mußten wir an die Leine, weil Frau von Quernheim fürchtete, daß wir unter die Autos kämen. Auch mir waren Autos zuerst unheimlich, mit ihren glänzenden, starren Augen und ihrer lautlosen Schnelligkeit. Aber dann gefielen sie mir besser und besser. Es war ein eigenartiger, bezwingender Duft an ihnen, nach besonnten Polstern, edlen Zigaretten und dem merkwürdigen Stoff, von dem sie lebten. Wenn ich ihn witterte, stieg ein wunderliches Gefühl von Fernweh und Abenteuerlust in mir auf. Leider hat es sich später so gesteigert, daß ich verschiedentlich in fremde Autos eingestiegen bin, was einen Haufen Ärger nach sich zog.
Mit der Zeit lernte ich auch meinen Vater kennen.
Er kam immer mal zu unserer Mutter und schnupperte zärtlich an ihr. Er ist der schönste Langhaardackel, den ich je in meinem Leben gesehen habe, viel schöner, als ich heute bin. Sein Gesicht war schmal und klug und sein Fell goldbraun wie manche Blätter in unserem Park, wenn es kälter wurde. Auf der Brust hatte er einen kleinen weißen Fleck und an den Hinterbeinen langes, seidiges Haar. Seine Nase war von einem tiefen, glänzenden Schwarz, wie es meine niemals erreicht hat. Allerdings sollte sich das später zu meinen Gunsten auswirken.
Von ihm lernte ich, mich gelassen zu bewegen und in schwierigen Situationen die Ruhe zu bewahren. Er brachte mir bei, wie man den Schwanz hält und große Löcher in kürzester Zeit gräbt.
Wenn Gäste da waren, zeigte Frau von Quernheim die Preise und Medaillen, die er auf Ausstellungen gewonnen hatte, eine ganze Schublade voll. Er konnte auf ihrer flachen Hand aufrecht stehen wie eine Bildsäule. Ich war stolz, ihn in meinem Stammbaum zu haben.
Unsere Mutter war herzensgut, nur ein bißchen dick. Ich sah daran, daß mein Vater sie nicht nur wegen Äußerlichkeiten genommen hatte, und er stieg deshalb noch mehr in meiner Achtung. Es hieß, er hätte schon allerhand Frauen gehabt, aber zu meiner Mutter war er immer höflich und aufmerksam, er fraß ihr nie etwas weg und beschäftigte sich mit uns, wenn sie müde war und schlafen wollte.
Diese erste Zeit meines Lebens war überaus glücklich. Obwohl ich heute vollkommen zufrieden bin, habe ich manchmal Sehnsucht nach dem alten Haus mit seinen Möbeln und Plüschkissen und den hohen Laubbäumen im Park.
Eines Tages aber passierte etwas Furchtbares.
Es erschien ein alter Herr mit weißem Haar und zerknittertem Gesicht. Wir wurden ins Haus gerufen und in das Zimmer geführt, in dem er saß.
Frau von Quernheim sprach mit ihm über uns, und der Herr betrachtete uns reihum
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