Stiller
ich, nicht lieben können in Gottes Namen, die Unseligen, wie ich, die da hassen, weil sie lieben wollen aus eigener Kraft, denn in Gott allein ist die Liebe und die Kraft und die Herrlichkeit, das meinst du doch?« Er blickte mich nicht an, sondern hatte seinen Kopf auf die hölzerne Lehne gelegt und zeigte wieder dieses vage Lächeln. »Und verloren sind die Hochmütigen«, redete er weiter, »die mit dem mörderischen Hochmut, auferwecken wollen, was sie getötet haben, die mit der geizigen Reue, die da messen in dieser Zeit und lamentieren, wenn’s anders geht, wenn’s gar nicht geht, die Tauben und die Blinden, die Gnade erhoffen in dieser Zeit, die Kleinmütigen wie ich, die mit dem kindischen Trotz gegen das Leiden, ja, sollen sie sich besaufen, die Selbstherrlichen in ihrer Sünde wider die Hoffnung, die Verstockten, die Glaubenslosen, die Gierigen, die da glücklich sein möchten, ja, sollen sie sich besaufen und schwatzen, die nicht zerbrochen sein wollen in ihrem Hochmut, die Glaubenslosen, die mit ihrer zeitlichen Hoffnung auf Julika! Selig aber sind die andern, selig sind, die lieben können in Seinem Namen, denn in Gott allein ... Ist es das«, fragte er, »was du die ganze Zeit sagen möchtest?« – »Ich bin dein Freund«, antwortete ich, »ich versuche dir zu sagen, was ich denke über Julika und dich, über eure Einsamkeit voreinander. Das ist alles.« – »Und was denkst du denn?« fragte er, seinen Kopf auf der hölzernen Lehne. »Ich habe es dir gesagt.« Stiller schien sich nicht erinnern zu können. »Du liebst sie«, wiederholte ich. »Denkst du«, kam es zurück. »Aber du erwartest von deiner Liebe wirklich so etwas wie ein Wunder, mein Lieber, und das ist es vermutlich, was nicht geht.« – »Ich liebe sie?« – »Ja«, behauptete ich, »ob es dir paßt oder nicht. Du hättest lieber jemand anders geliebt. Ich weiß. Und das weiß auch sie! Vielleicht Anja oder wie sie geheißen hat, deine Polinin Spanien, oder Sibylle da oben ... Nur: dafür kann Julika nichts, daß sie nicht die Frau ist, die du vielleicht glücklicher hättest machen können.« – »Nein«, sagte er, »dafür kann Julika auch nichts.« – »Du liebst, ohne das Geschöpf glücklich machen zu können, das du liebst. Das ist dein Leiden. Ein wirkliches Leiden, einmal abgesehen von aller unserer Eitelkeit, denn man möchte ja auch gerne ein bißchen Herrgott spielen, die Welt aus der Tasche ziehen, das Leben auf den Tisch zaubern. Und dann, gewiß, möchte man selber glücklich dabei werden, wenn man liebt ... Das ist nicht immer der Fall!« sagte ich, und da Stiller nicht lächelte, setzte ich hinzu: »Das ist es ungefähr, was ich denke, und wenn du mich schon fragst, was du tun sollst –« Seine Gedanken waren anderswo. »Seit dem Herbst!« sagte er, und seine Lippen zitterten. »Seit dem Herbst hat sie’s gewußt. Heute erfahre ich es vom Arzt. Seit dem Herbst! Und ich pfeife da unten in meinem Souterrain, keine Ahnung, keine Ahnung ... Was soll ich tun!« wehrte er sich mit Heftigkeit gegen mich. »Ich kann nicht übers Wasser wandeln!« – »Wer verlangt das von dir?« – »Gestern mittag, als ich dachte, sie stirbt ... Rolf«, sagte er, »ich habe geheult! Und dann habe ich mich gefragt, ob ich noch einmal – wenn das sie retten könnte –, noch einmal alles mit ihr erleben wollte. Und ich habe den Kopf geschüttelt, ich habe geheult, seit vierzehn Jahren stirbt sie, Tag für Tag, am Tisch mit mir ...« Stiller tat mir leid. »Das weißt du, daß sie allein in die Klinik gegangen ist?« fragte er. »Ohne mich.« – »Wieso ohne dich?« – »Packt ihre Sachen für die Klinik. Und es ist noch eine Stunde Zeit. Wir wissen nicht, was reden. Mit Blumen ist nichts getan, ich weiß. Aber es drängt mich halt doch, siehst du. In Territet gibt es nichts, was ihr gefällt. Also weiter nach Montreux! Nach vierzig Minuten bin ich wieder hier im Haus, genau nach vierzig Minuten – nun ja, sie ist halt allein in die Klinik gegangen!« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Vielleicht findest du gar nichts dabei«, fügte er hinzu, »vernünftig wie du bist!« – »Was findest du dabei?« – »Ohne mich!« antwortete er, »ohne mich! Das freut sie mehr als Blumen, siehst du. Vielleicht zum letztenmal aus diesem Haus gehen: allein, ohne Begleitung, o ja, das hält länger als alle Blumen der Welt!« Ich nahm seine Auslegung nicht an. »Rolf«, entgegnete er, »dieser Mensch ist böse! Sie ist es geworden, kann sein,
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