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Stine

Stine

Titel: Stine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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will von ihrem Tagewerk.«
    Stine verstand ihn wohl und bat ihn, als er das sagte, nicht so zu sprechen. Er müsse doppelt hoffen; denn wer vom Tode gerettet sei, der lebe lange. So sage das Sprichwort, und die Sprichwörter hätten immer recht.
    Er lächelte bei diesen Worten und lenkte dann auch seinerseits wieder zu heiteren Dingen über. Und bald danach trennte man sich in Herzlichkeit und guter Laune.
     
Zehntes Kapitel
     
    Es war in der dritten Woche nach ihrer Bekanntschaft, ein Freitagabend, und der junge Graf hatte noch keine zehn Minuten das Haus verlassen, als es oben an der Flurtür klopfte. Das war das Zeichen für die Polzin, die denn auch sofort erschien und sich mit der Pittelkow begrüßte.
    »War Besuch hier, liebe Polzin? Ich meine bei Stine?«
    »Kann ich wirklich nich sagen, liebe Frau Pittelkow. Sie wissen, wir sehen und hören nichts.«
    Es schien, daß sich die Polzin über dies ihr Lieblingsthema noch weiter verbreiten wollte, Stine jedoch, die das draußen auf dem Flur geführte Gespräch gehört und die Stimme der Schwester erkannt hatte, ließ es nicht dazu kommen. »Ei, das ist hübsch, Pauline, daß du da bist.« Und hiermit wandte sie sich wieder in ihr Zimmer zurück, um, vorsichtig umhersuchend, von einem schon im vollen Abendschatten stehenden Eckschrank die Lampe herunterzunehmen.
    »Laß man, Stinechen«, sagte die Schwester. »Es ist so hübsch schmustrig hier, un das Schmustrige hab ich nu mal am liebsten, un is immer wie 'n altes schwarzes Kreppschintuch, wo man sich gleich einmummeln un anlehnen kann, un braucht nicht steif un grade zu sitzen. Nein, laß man, Stine; wir haben Licht genug von unten her. Sieh doch bloß, da kuckt ja der Mond grad über Sieboldten seinen Schornstein weg.«
    Unter solchem Geplauder hatte die Pittelkow auf dem Sofa Platz genommen und sagte, während sie sich behaglich in die Kissen drückte: »Ja, was ich sagen wollte, Stine, das Grafchen war eben wieder hier?«
    »Ja, Pauline.«
    »Jott, Kind, wie dir die Backen brennen.«
    »Ja, sie brennen mir. Aber ich weiß eigentlich nicht warum. Es ist fast zum Ärgern; ich bin rot geworden und brauchte doch nicht.«
    »Ach, mein Stineken, werde du man rot; es is immer besser mal zuviel als mal zuwenig. Aber was ich sagen wollte, das Grafchen... Es gefällt mir nich, daß er hier immer bei Dagesschluß die Treppe raufsteigt, grad als müßt er die Betglocke läuten.«
    »Er ist der beste Mensch von der Welt, Pauline. Nie hätt ich geglaubt, daß es einen so guten Menschen gäbe. Den ersten Tag hatte ich eine Aussprache mit ihm und redete von Anständigkeit und auf sich Halten, und daß ich ein ordentliches Mädchen sei. Aber ich schäme mich jetzt fast, daß ich so was gesagt habe. Denn immer ängstlich sein ist auch nicht gut und zeigt bloß, daß man sich nicht recht traut und daß man schwächer ist, als man sein sollte.«
    Die Pittelkow lächelte vor sich hin und schien antworten zu wollen, aber Stine fuhr fort: »Ja, Pauline, der beste Mensch, ohne Falsch und ohne Hochmut, aber auch ohne Glück. Wenn er mir so gegenübersitzt, ist es mir oft, als ob wir die Rollen vertauscht hätten und als ob ich eine Prinzessin wär und könnt ihn glücklich machen. Er sieht mich dann immer an und hört auf jedes Wort, das ich spreche, nicht bloß zum Schein und aus Haberei, nein, solch dummes Ding bin ich nicht mehr, mir so was einzubilden, wenn es nicht wahr wäre. Nichts von bloß so tun; ich seh es ihm an, daß er wirklich dabei ist und daß ihn alles freut, was ich da so hinplaudere. Freilich, du wirst mich für eitel halten und es nicht glauben wollen.«
    »O warum nich, Stine? Warum soll ich es nich glauben? Ich glaub es alles. Aber alles hat auch seinen Grund und sogar seinen guten Grund. Und ich kenn ihn auch.«
    »Und ich denke mir, ich kenn ihn auch und weiß, woran es liegt. Sieh, es liegt daran, er hat so wenig Menschen gesehen und noch weniger kennengelernt. In seiner Eltern Hause gab es nicht viel davon – sie sind alle stolz und hart, und seine Mutter ist seine Stiefmutter –, und dann hat er Kameraden und Vorgesetzte gehabt und hat gehört, wie seine Kameraden und seine Vorgesetzten sprechen; aber wie Menschen sprechen, das hat er nicht gehört, das weiß er nicht recht. Ich denke mir das nicht aus, ich hab es von ihm, es sind seine eigenen Worte. Ja, Pauline,
daran
liegt es.
Das
ist der Grund, daß ich armes Ding ihm gefalle; nichts weiter. Er ist unglücklich in seinem Haus und seiner Familie.

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