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Stine

Stine

Titel: Stine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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darf. Meine Schwester würd es unklug finden, und ich weiß, daß ich ihr Rücksichten schuldig bin.«
    »So denn auf Wiedersehen, Fräulein Stine.«
    Stine gab ihm das Geleit bis auf den kleinen Korridor; dann aber rasch in ihre Stube zurückkehrend, trat sie ans offene Fenster und sog die frische Luft ein, die vom Park her herüberkam. Aber es blieb ihr bang ums Herz, und sie hatte das bestimmte Gefühl, daß ihr nur Schweres und Schmerzliches aus dieser Bekanntschaft erwachsen werde. »Warum hab ich nicht nein gesagt? Ich habe mich nun in seine Hand begeben... Und doch, ich will nicht, will nicht. Ich hab es ihr auf dem Sterbebette schwören müssen. ›Stine‹, sagte sie, ›halte dich. Es kommt nichts dabei heraus. Du bist nicht so hübsch wie deine Schwester Pauline, das ist mir ein Trost. Ach, das Hübschsein...‹ – Ich war noch ein halbes Kind damals; aber was ich ihr versprochen, ich will es halten!«
     
    Im selben Augenblick, wo der junge Graf, von Stine geleitet, aus dem Zimmer in den Korridor trat, trat auch die Polzin von ihrem Horcheplatz wieder an den Klapptisch zurück, wo sich nun zwischen den beiden Eheleuten sofort ein kurzes, aber intimes Zwiegespräch entspann.
    »Er ist eigentlich lange geblieben«, sagte Polzin, während er sich wieder an den Webstuhl setzte. »Wie war es denn?«
    »Gar nichts war es. Und wird auch nichts.«
    »I wo«, sagte Polzin. »Es wird schon werden. Alles muß doch Zeit und Weile haben. Aber du denkst immer...«
    »Ach was, denken; ich denke gar nich. Ich sage bloß, wenn was werden soll, wird es gleich. Un wenn es nich gleich wird, wird es gar nich... Ich kenne doch auch die Mannsleute.«
    »Ja, ja«, sagte Polzin und griente, »
die
kennst du.«
    »Höre, Polzin, komme mir nich
so
. Fange nich wieder alte Geschichten an.«
    »I wie werd ich denn... Ich meine ja bloß...«
     
Neuntes Kapitel
     
    Der junge Graf wiederholte seine Besuche. Während der ersten Woche kam er einen Tag um den andern, dann täglich; aber immer blieb er nur bis Spätnachmittag. Dann ging er wieder.
    Einmal kam ausnahmsweise der Abend heran, und man öffnete die Fenster und sah hinaus. Die Schwere der Luft machte, daß das Straßentreiben unten anders als sonst auf die Sinne wirkte, die Lichter brannten trüber, und das Geläute der Pferdebahnglocke klang gedämpfter herauf. Über dem Parke drüben stand der Mond und warf seinen Schimmer auf einen frei zwischen den Bäumen stehenden Obelisken; die Nachtigallen schlugen, und die Linden blühten in aller Pracht.
    Der junge Graf wies darauf hin und sagte: »Das ist nun ein Park und heißt auch so. Aber ist es nicht eigentlich wie ein Kirchhof? Daß alles blüht, das hat der Kirchhof auch. Und der Obelisk sieht aus wie ein Grabstein.«
    »Und ist auch so was.«
    »Wie das? Ist da jemand begraben?«
    »Nein, begraben nicht. Aber ein Denkmal ist es, das zur Erinnerung an die mit der ›Amazone‹ Verunglückten errichtet wurde. Hundert oder mehr, und ich habe manchmal ihre Namen gelesen. Es ist rührend; lauter junge Leute.«
    »Ja«, sagte der junge Graf, »ich entsinne mich, lauter junge Leute.« Dann schwieg er wieder, und der Ton, in dem er gesprochen hatte, klang fast, wie wenn er sie mehr beneide als beklage.
    Bald danach brach er auf, sichtlich bewegt von der Wendung, die das Gespräch genommen, und Stine sah, als er auf die Straße hinaustrat, daß er nicht, wie gewöhnlich, nach links hin auf die Bahnhofsbrücke zuschritt, sondern, quer über den Damm, nach dem eingegitterten Park. Da stand er nun an dem Gitter und beugte sich vor, und es war, als ob er die Namen, die der Obelisk trug, in dem Halblicht zu lesen versuche.
    An diesem Tage hatte sein Besuch etwas länger gedauert; sonst blieb er nur bis Sonnenuntergang und hatte seine Freude daran, Stine bei der Arbeit zu sehen und dabei plaudern zu hören. Er nahm teil an allen Vorkommnissen, am liebsten aber war es ihm, wenn sie Geschichten aus ihrem Leben erzählte, von ihren Kinder- und Schultagen, von dem frühen Tod ihrer Mutter und von der Einsegnung, die kurz nachher gewesen, und wie die Leute im Hause gesammelt hätten, um ihr das Einsegnungskleid schenken zu können. Und wie sie dann in demselben Jahre noch in das große Woll- und Stickereigeschäft eingetreten sei – dasselbe, für das sie jetzt noch arbeite; meistens zu Haus, aber mitunter auch im Geschäft selbst – und wie sie da lebten und Freundschaften schlössen und in der Weihnachtswoche bis in die halbe Nacht

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