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Stine

Stine

Titel: Stine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Schwester?«
    »Ja. Daß sie das Verhältnis hat, ist ihr kein Lob, aber bei der großen Mehrzahl auch keine Schande. Die arme Frau, so sagen sie, sie hätt's lieber anders. Aber sie
muß
. Und muß ist eine harte Nuß. Und so läßt man sie's nicht entgelten und fordert nur das eine von ihr, daß sie, was sie versprochen, auch respektiere. Wanda darf tun und lassen, was sie will, meine Schwester Pauline darf es nicht. Die muß halten, wozu sie sich verpflichtet, und ich darf Ihnen versichern, es
wird
gehalten.«
    »Und in das alles hat sich Ihre Schwester hineingefunden? Vielleicht sogar mit Leichtigkeit?«
    »Doch nicht leicht. Eher schwer. Aber, die Wahrheit zu gestehen, nicht schwer von Tugend wegen – davon will sie nichts wissen –, sondern nur deshalb, weil ihr, von Natur, an einem Leben nichts liegt, wie sie's zu führen gezwungen ist. Meine Schwester ist arbeitsam und ordentlich und ganz ohne Passion. Wenigstens hat sie mir das hundertmal versichert.«
    »Und aufrichtig?«
    »Wer sieht ins Herz? Aber ich glaube: ganz aufrichtig. Und wenn Sie meine Schwester so gut kannten wie ich, so würden Sie's auch glauben.«
    »Und doch sagte sie mir, als ich vorgestern nach Olga fragte: ›Danach dürfen Sie nicht fragen. Einen Vater hat sie, das ist gewiß. Aber mehr kann ich Ihnen nicht sagen.‹«
    Stine lächelte verlegen vor sich hin. Endlich aber sagte sie: »Ja, in diesem Tone spricht sie gern, das ist wahr; aber nicht aus schlechter Sitte, sondern aus Übermut. Sie weiß, daß sie noch immer sehr hübsch ist, und hat aus Eitelkeit und Gefallsucht, wovon ich sie nicht freisprechen kann, eine sie beständig quälende Lust, die Männer in Verwunderung zu setzen, bloß um sie hinterher auszulachen. Ich kenne sie besser, weil ich ihr Leben kenne. Sie war kaum zwanzig, als Olga geboren wurde. Da hatte sie nun das Kind, eine gewöhnliche Verführungsgeschichte, womit ich Sie verschonen will, und weil man ihren Anspruch mit einer hübschen Geldsumme zufriedenstellte, so war sie nun eine ›gute Partie‹ geworden und verheiratete sich auch bald danach. Und wie meist in solchen Fällen, mit einem kreuzbraven Mann. Aber ich muß auch sagen, er kam ihr zu. Sie war eine ganz vorzügliche Frau, nicht das geringste konnt ihr nachgesagt werden, und als der Mann krank wurde, hat sie ihn, mit allem, was sie hatte, treu bis zum Tode gepflegt. Freilich, als er dann in seinem Grabe lag, war auch der letzte Notgroschen hin, und Ihr Herr Onkel, der in demselben Hause wohnte, nahm sich ihrer an. Und da kam es dann – nun, Sie wissen wie. Das geht jetzt ins dritte Jahr, und sie wünscht es sich nicht anders, trotzdem sie klagt und wettert, übrigens ohne sich viel dabei zu denken. Sie nimmt ihr gegenwärtig Leben als einen Dienst, drin sich Gutes und Schlimmes die Waage hält; aber des Guten ist doch mehr, weil sie keine Sorge hat um das tägliche Brot. Und nun bitt ich Sie, wenn Sie sie wiedersehen, so sehen Sie sich ihr Tun und Treiben auf meine Worte hin an, und Sie werden finden, daß ich nicht zuviel gesagt habe.«
    »Und was fordert sie von Ihnen?«
    »Fordert? Nichts. Sie liebt mich und ist seelensgut zu mir und freut sich, daß ich auf mich halte, und ermutigt mich darin. ›Es ist immer das klügste so‹, das sind ihre Worte. Würd es aber anders kommen, so wär es nicht viel, und sie würde nur sagen: ›Ich weiß wohl, Stine, das Richtige läßt sich nicht immer tun.‹ Ja, sie sieht das, was sie das Richtige nennt, für etwas Wünschenswertes an, aber nicht als etwas Notwendiges; sie gönnt es mir, nichts weiter.«
    Allmählich, während dies Gespräch geführt wurde, war die Sonne drüben niedergegangen, und nur ein letztes verblassendes Abendrot schimmerte noch zwischen dem Gezweige der Parkbäume. Stine hatte längst den Stickrahmen beiseite gestellt, und der junge Graf, der ihr jetzt gegenübersaß, sah in dem Fensterspiegel, wie, die ganze Straße hinunter, die Gaslaternen aufflammten. Er war so benommen davon, daß er eine Weile schwieg und dem eigentümlichen Straßenbilde zusah.
    »Ich sehe«, sagte Stine, »der Spiegel tut es Ihnen auch an. Ich weiß das schon; es ist immer dasselbe.«
    Der junge Graf nickte. Dann nahm er Stines Hand wie zum Abschied und sagte, während er sich rasch erhob: »Ich darf doch wiederkommen, Fräulein Stine?«
    »Besser wäre es, Sie kämen nicht. Sie beunruhigen mich nur.«
    »Aber Sie verbieten es nicht, Sie sagen nicht nein?«
    »Ich sage nicht nein, weil ich es nicht sagen

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