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Stine

Stine

Titel: Stine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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entnehmen dürfen, daß auch das tierweltlich Intrikateste seine Parallelstellen in unserem eigenen Leben findet. Glauben Sie mir, Waldemar, nichts falscher als die Vorstellung, daß es mit der Gattung homo was ganz Besonderes sei.«
    Der junge Graf nickte zustimmend. Der alte Baron aber, ohne sich im geringsten um Anzweiflung oder Zustimmung zu kümmern, fuhr in dem ihm eigenen jovialen Tone fort: »Sehen Sie, Waldemar, die Sperlinge. Meine Passion! Jedes Alter hat seine Passionen, und die Sperlinge repräsentieren am Ende nicht die schlimmste. Hübsch freilich sind meine Freunde drüben nicht und auch nicht wählerisch, eigentlich in nichts, im Gegenteil, immer frère cochon, aber auch immer amüsant, und das ist für mich das entscheidende. Denn die meisten Tiere – wiederum ganz nach höherer Analogie – sind herzlich langweilig, darunter selbst solche, die für bevorzugt gelten, und fast möcht ich sagen, den Vortritt haben. Nehmen Sie beispielsweise den Hahn. Er denkt sich wunder was und ist doch eigentlich nur ein Geck. Außer dem Amte, das ihm obliegt und über das ich in so früher Stunde nicht gern sprechen möchte, was tut er sonst noch, das der Rede wert wäre? Nichts. Er hält sommers von drei Uhr ab seine Dienststunden. Aber das ist mir zuwenig. Und nun vergleichen Sie damit den Sperling. Immer guter Laune, gesprächig, fidel. Überall guckt er rein, alles will er wissen, alles will er haben – die reinen Preußen in der Weltgeschichte der Vögel... Aber ich verschwatze mich, die Sperlinge sind nun mal mein Steckenpferd, ein etwas sonderbares Bild. Und nun nehmen Sie Platz, wenn ich bitten darf... Zigaretten? Oder einen Morgencognac?«
    Und er fuhr im Zimmer hin und her, um zunächst ein Kistchen Zigaretten und dann Aschbecher und Feuerzeug vor den jungen Grafen hinzustellen. Als er aber endlich damit zu Ruhe war, nahm er selber Platz und blickte mit seinen freundlichgrauen Augen, die pfiffig und unbedeutend in die Welt hineinsahen, seinen Besucher an.
    »Ich komme«, begann dieser, »in einer etwas diffizilen Angelegenheit...«
    »Also Geldsache«, warf Papageno dazwischen und versuchte zu lachen. Denn seine Finanzlage war nicht die beste.
    »Nein, nicht
das
, lieber Baron. Es handelt sich vielmehr um eine Herzens- und Standessache. Rundheraus, ich habe vor, mich zu verheiraten.«
    »Ah, charmant. Eine Hochzeit. Wahrhaftig, ich wüßte nicht, lieber Waldemar, was Sie mir Lieberes sagen könnten.
Ich
hab es verpaßt und stecke nun in meinen Junggesellenpantoffeln. Aber wenn ich höre, daß ein anderer es wagen will, da faßt mich immer ein heftiger Neid, und ich höre nichts als Orgel und Tanzmusik und sehe nichts als Bouquets und kleine weiße Atlasschuhe. Die sind auch eine Passion von mir, beinah noch mehr als die Sperlinge. Und aus allen Backöfen werden dann Kuchen gezogen, und abends steigen Raketen aus dem Park in den schwarzblauen Himmel auf, und im Kruge, was immer das interessanteste bleibt, gibt es nichts als Friesröcke, Brustlatz und Zwickelstrümpfe.«
    »Meine Hochzeit, lieber Baron, wenn sie überhaupt stattfindet, wird mutmaßlich einfacher verlaufen. Ich habe nicht unter den Komtessen des Landes gewählt und bin, von unserm Standpunkt aus angesehn, eine gute Stufe herabgestiegen...«
    »Auch
das
hat seine Vorzüge. Junge Bourgeoise?«
    »Nein, Baron, Sie müssen noch eine Stufe tiefer. Ich habe vor, die Zustimmung des Mädchens vorausgesetzt, mich mit der Schwester der Pittelkow zu verloben, mit Stine.«
    Der Baron war aufgesprungen. Er faßte sich aber schnell wieder und sagte, während er sich setzte: »Sie werden Ihre Gründe gehabt haben. Außerdem weiß ich aus hundert Erlebnissen, um nicht zu sagen aus eigener Erfahrung, welche Launen Gott Amor hat und in welchen Sprüngen und Abweichungen er sich gefällt. Man kann beinah sagen, er hat eine Vorliebe für den Ausnahmefall. Aber Ihr Onkel? Ihre Familie?«
    »Das eben ist es, Baron, weshalb ich zu Ihnen komme. Daß meine Familie niemals zustimmen wird, ist mir gewiß, auch liegt es mir fern, nur den Versuch dazu machen zu wollen. Ich respektiere die herrschenden Anschauungen. Aber man kann in die Lage kommen, sich in tatsächlichen Widerstreit zu dem zu setzen, was man selber als durchaus gültig anerkennt. Das ist meine Lage. Meine Familie kann den Schritt nie gutheißen, den ich vorhabe, braucht es nicht, soll es nicht, aber sie kann ihn gelten lassen, ihn verzeihn. Und diese Verzeihung möcht ich haben, nichts weiter. Ich

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