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Stine

Stine

Titel: Stine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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liebste Stine, du redest dich so hinein und kommst mir nun gar mit dem vierten Gebot. Glaube mir, das mit dem vierten Gebot, das hat auch seine Grenze. Vater und Mutter sind nicht bloß Vater und Mutter, sie sind auch Menschen, und als Menschen irren sie so gut wie du und ich. Nein, ich will dir sagen, was es ist und warum du glaubst, so sprechen zu müssen. Ich verstehe mich ein bißchen auf das menschliche Herz, denn sieh, wer jahrelang auf dem Krankenbett liegt, der hat viel Zeit und spürt vielem nach, und das verlockendste sind immer die Schlängelgänge des Herzens, des eignen und des der andern. Und nun höre, was es ist. Es ist was Hochmütiges in eurer Familie, daran drei Grafen genug hätten, etwas Trotziges und Herausforderndes und ein Hang, die Wahrheit zu sagen und mitunter auch noch mehr. Deine Schwester hat es sehr stark, und du hast es auch, hast auch dein Teil daran. Und sieh, in diesem deinem falschen Stolze willst du nicht, daß ich auch nur einen Augenblick glauben soll, du hättest an so was wie eine Stine Haldern gedacht. Das ist dir gegen deine Ehre. Hab ich recht und ist es so?«
    »Nein.«
    »Gut. Ich glaube dir. Ich weiß ganz bestimmt, daß du ja gesagt hättest, wenn du's hättest sagen können. Und daß du dies ehrliche Nein sagen kannst, das ist schön von dir und läßt mich aufs neue sehen, eine wie gute Wahl ich getroffen. Und nun soll es an bloßen Einbildungen scheitern.
Ich
bin aus den Vorurteilen heraus, und nun willst
du
sie haben. Ich beschwöre dich, Stine, mache dich frei davon, und vor allem entschlage dich deiner Ängstlichkeiten.«
    Stine schüttelte den Kopf.
    »Es soll also nichts mit uns werden?«
    »Es kann nicht.«
    »Und alles soll bloß ein Sommerspiel gewesen sein?«
    »Es muß.«
    »Und es kommt dir nicht der Gedanke, daß mir dies alles das Leben bedeuten könnte?«
    »Um Gottes willen, Waldemar!«
    »Ich will keine Ausrufe, ich will eine Antwort. Ein Ja, kurz und bestimmt, und dann fort, fort. Sprich, Stine, du weißt, was ich bitte. Willst du?«
    »Nein.«
    Und sie stürzte weinend an ihm vorüber. Er hielt sie aber fest und sagte: »Stine, so wollen wir nicht scheiden. Ein Nein soll nicht dein letztes Wort gewesen sein. Setze dich nieder und sieh mich an. Und nun sage mir: Hast du mich wirklich geliebt?«
    »Ja.«
    »Von Herzen?«
    »Von ganzem Herzen.«
    Und das Krampfschluchzen, unter dem sie sprach, ging in eine Ohnmacht über.
    Als sie wieder zu sich kam, war sie allein.
     
Fünfzehntes Kapitel
     
    Waldemar ging nach rechts auf das Oranienburger Tor zu, weil ihm darum zu tun war, in einem an der Ecke der Linden und Friedrichsstraße gelegenen Bankhause verschiedene geschäftliche Dinge zum Abschluß zu bringen. Aber in der Nähe der Weidendammer Brücke fiel ihm ein, daß die Bureaus sehr wahrscheinlich schon geschlossen seien, weshalb er seinen Stadtgang aufgab, um sich in seine dicht hinter dem Generalstabsgebäude gelegene Wohnung zurückzubegeben. Er war durch eben diese Wohnung Nachbar von Moltke, welche Nachbarschaft er gern hervorhob und in Ernst und Scherz zu versichern liebte: »Man kann nicht besser aufgehoben sein als gerade da. Wer für die große Sicherheit so zu sorgen weiß, der sorgt auch für die kleine.«
    Von der Dorotheenstädtischen Kirche her schlug es fünf, als unser zu Betrachtungen der Art nur zu geneigter Freund in den Schiffbauerdamm einbog, und ehe noch die Turmuhr ausgeschlagen hatte, schlugen die kleinen Uhren nach, die sich in ziemlich beträchtlicher Zahl an der Wasser- und Rückfront der jenseitigen Fabrikgebäude befanden. Er zählte die Schläge, musterte den Quai hüben und drüben und freute sich des regen und doch stillen Lebens, das hier überall auf und ab wogte. Nichts entging ihm, auch nicht das Treiben auf den Kähnen, an deren Tauen und Strickleitern, und mitunter auch auf quergelegten Ruderstangen, allerlei Wäsche zum Trocknen hing, und erst als er unter langsamem Weiterschlendern die Graefsche Klinik im Rücken hatte, ließ er von dem Beobachten ab und ging rascheren Schrittes auf die Unterbaumbrücke zu. Hier hielt er wieder und betrachtete die bronzenen Kandelaber, die, weil sie noch keine Patina hatten, in der schrägstehenden Sonne prächtig blitzten und flimmerten. »Wie hübsch das alles ist. Ja, es kommen bessere Tage. Nur... wer's erlebt. Qui vivra, verra...« Und er brach ab und sah von der Brückenwölbung auf die tief unten am Quai sich hinziehenden Weiden, aus deren graugrünem Blattwerk einige

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