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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Eins
     
     
    Ich begegnete Childe im Denkmal für die Achtzig.
    Es war einer der Tage, an denen ich dort fast ganz allein war und durch die Gänge schlendern konnte, ohne auf andere Besucher zu treffen. Nur meine Schritte störten die Grabesstille.
    Ich wollte den Schrein meiner Eltern besuchen. Kein prunkvolles Monument, nur ein glatter Obsidiankeil von der Form eines Metronoms, schmucklos bis auf zwei kleine Miniaturen in elliptischen Rahmen. Das einzige Bewegliche daran war ein schwarzer, weit unten an der Fassade befestigter Zeiger, der mit würdevoller Langsamkeit hin und her schwang. In den Tiefen des Schreins verbarg sich ein Mechanismus, der dafür sorgte, dass er immer noch langsamer wurde. Hatte er zunächst mit seinem Ticken die Tage abgezählt, so waren es bald die Jahre, und irgendwann würde man nur noch mit präzisen Messungen feststellen können, dass er sich überhaupt bewegte.
    Diesen Zeiger beobachtete ich, als eine Stimme mich aus meinen Gedanken riss.
    »Wieder einmal ein Besuch bei den Toten, Richard?«
    »Wer ist da?«, fragte ich und sah mich um. Der Sprecher kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht gleich unterbringen.
    »Nur ein Geist.«
    Verschiedene Möglichkeiten schossen mir durch den Kopf, als ich die tiefe, spöttische Stimme hörte -eine Entführung, ein Attentat –, bis ich einsah, dass ich mich überschätzte, wenn ich mich solcher Aufmerksamkeiten für würdig hielt.
    Dann trat der Mann ein Stück weit entfernt zwischen zwei Schreinen hervor.
    »Mein Gott«, sagte ich.
    »Erkennst du mich jetzt?«, sagte er lächelnd.
    Er trat näher: hoch gewachsen und imposant, genau so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Die Teufelshörner hatte er seit unserer letzten Begegnung abgelegt – sie waren ohnehin nur eine biotechnische Manipulation gewesen –, doch leicht satanisch wirkte er noch immer, und das Spitzbärtchen, das er sich inzwischen hatte stehen lassen, wirkte diesem Eindruck nicht entgegen.
    Er wirbelte Staub auf, als er auf mich zuging. Daran erkannte ich, dass er keine Projektion war.
    »Ich dachte, du wärst tot, Roland.«
    »Nein, Richard«, sagte er und blieb vor mir stehen, um mir die Hand zu schütteln. »Aber natürlich wollte ich genau diesen Anschein erwecken.«
    »Wozu?«, fragte ich.
    »Lange Geschichte.«
    »Dann fang einfach von vorne an.«
    Roland Childe legte eine Hand an die glatte Seitenwand des Schreins meiner Eltern. »Hätte nicht gedacht, dass das dein Stil ist.«
    »Ich konnte nur mit Mühe verhindern, dass der Stein noch protziger und morbider ausfiel. Aber bleiben wir beim Thema. Was ist mir dir passiert?«
    Er nahm die Hand weg. Ein schwacher, feuchter Abdruck blieb zurück. »Ich habe meinen eigenen Tod vorgetäuscht. Die Achtzig waren die perfekte Tarnung. Dass das Experiment so katastrophal danebenging, war ein Glücksfall. Ich hätte es nicht besser planen können.«
    Dazu war weiter nichts zu sagen. Es war katastrophal danebengegangen.
    Vor mehr als einhundertfünfzig Jahren hatte eine Clique von Forschern den alten Plan wieder ausgegraben, die Persönlichkeit eines lebenden Menschen auf eine computererzeugte Simulation zu kopieren. Das Verfahren – damals noch in den Kinderschuhen – hatte nur einen kleinen Nachteil: die Versuchsperson überlebte nicht. Dennoch hatte es Freiwillige gegeben, und meine Eltern hatten zu denen gehört, die sich gleich zu Anfang meldeten und Calvins Arbeit unterstützten. Sie hatten ihm politischen Schutz angeboten, als sich die mächtige Lobby der Meistermischer gegen das Projekt stellte, und sie waren unter den Ersten gewesen, die sich scannen ließen.
    Keine vierzehn Monate später waren auch ihre Simulationen mit unter den ersten gewesen, die zusammenbrachen.
    Keine einzige ließ sich neu starten. Den meisten von den Achtzig war es ebenso ergangen, inzwischen gab es nur noch eine Handvoll, die nicht gelitten hatten.
    »Du musst Calvin für seine Versuche hassen«, bemerkte Childe, immer noch mit diesem leisen Spott in der Stimme.
    »Würde es dich überraschen, wenn ich dir sagte, dass dem nicht so ist?«
    »Warum hast du dann nach der Tragödie so lauthals gegen seine Familie polemisiert?«
    »Weil ich wollte, dass der Gerechtigkeit Genüge getan würde.« Neugierig, ob Childe mir folgen würde, wandte ich mich zum Gehen.
    »Verständlich«, sagte er. »Aber deine Opposition kam dich doch teuer zu stehen?«
    Empört blieb ich neben einer ungemein realistischen Skulptur stehen, die

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