Stoerfall in Reaktor 1
die beiden Grübchen in ihren Mundwinkeln erkennen. Er guckt schnell woanders hin. Zum Himmel hinauf, der langsam dunkel wird. Nur über dem AKW hängt ein schwacher Lichtschein. Eine Amsel fliegt laut zwitschernd so dicht an ihnen vorüber, dass Lukas unwillkürlich zusammenzuckt.
Flackernd schaltet sich in dem Moment die automatische StraÃenbeleuchtung ein. Zu Anfang fast orangefarben, dann immer heller und kräftiger, bis der Lieferwagen in ein gelblich-weiÃes Licht getaucht wird.
»Du hast noch eine CD von mir«, sagt Hannah dann.
»Hab ich auch ein paarmal gehört. Ist gut. Vielleicht ein bisschen kitschig manchmal, aber okay.«
»Wir wollen vielleicht einen Song davon covern. Little Bird wahrscheinlich.«
»Müsste gut kommen mit deiner Stimme.«
»Wäre schön, wenn du mir die CD irgendwann mal vorbeibringen könntest.«
»Mach ich«, verspricht Lukas. »Oder ich geb sie dir in der Schule. Also dann«, setzt er unvermittelt hinzu, »ich mach mich mal auf den Weg, du musst ja sowieso gleich wieder rein. Aber ich bin fertig. Ich brauch zur Abwechslung mal ein bisschen Schlaf.«
»Ist klar nach letzter Nacht«, sagt Hannah und blickt ihm geradewegs in die Augen, als wolle sie seine Reaktion sehen.
Lukas zögert einen Moment. Er hat keine Ahnung, was sie damit andeuten will. Es kann nicht sein, dass sie irgendwas weiÃ! Oder doch? Aber â¦
»Klar«, sagt er jetzt schnell und versucht, eine Unsicherheit zu überspielen. »Ist einfach so. Zu viel Stress im Moment. Irgendwann musst du auch mal wieder pennen.«
Hannah schüttelt den Kopf. »He«, sagt sie leise und kommt so nah an ihn heran, dass er spürt, wie sich die Härchen auf seinen Unterarmen aufrichten, »baut keinen ScheiÃ, Lukas! Du und die anderen. Das kann böse ausgehen. Ich bin nicht die Einzige, die eins und eins zusammenzählen kann.«
»Ich weià echt nicht, was du meinst â¦Â«
»Doch, das weiÃt du. Du weiÃt es und ich weià es. Und ich würde gerne mit dir darüber reden. Ich glaube, es wäre wichtig. AuÃerdem â¦Â« Sie zögert. Dann drückt sie Lukas einen Kuss auf die Wange. »Wir spielen jetzt noch zwei Sets. Dann müssen wir abbauen und die Anlage zurück zum Ãbungsraum bringen. Die anderen wollen danach bestimmt noch irgendwas machen, aber ich geh nach Hause. Kannst du um, warte ⦠halb zwölf, das müsste klappen, kannst du dann rüberkommen? Du kennst dich ja aus. Meine Eltern sind übrigens nicht da, du brauchst also auch nicht extra leise zu sein. Halb zwölf, okay?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, dreht sie sich um und geht über den Parkplatz zurück zum Eingang, wo sie prompt von ein paar Fans jubelnd begrüÃt wird.
Sechs
Hannahs Zimmer sieht noch genauso aus, wie Lukas es in Erinnerung hat. Eigentlich mehr eine Höhle als ein Zimmer, oben unter dem Dach, mit einer Feuertreppe, die auÃen am Haus hinaufführt. Lukas weià nicht mehr, wie oft er hier nachts heimlich hochgeschlichen ist, während Hannahs Eltern unten im Wohnzimmer ahnungslos vor dem Fernseher saÃen. Oft! Verdammt oft sogar. Und fast jedes Mal hat er gedacht, wie cool das sein muss, Eltern zu haben, die einen völlig in Ruhe lassen! Die ihre Tochter machen lassen, was sie will, ohne sich aufzuregen, dass sie noch nicht mal einen Kleiderschrank hat, sondern ihre Klamotten in alten Koffern vom Flohmarkt aufbewahrt. Und die ihre Bücher irgendwo auf dem FuÃboden stapelt, zwischen den Matratzen und Kissen, die überall herumliegen. Von den mit Plakaten und Graffitizeichnungen zugepflasterten Wänden mal ganz zu schweigen. Bei deren Anblick wären Lukasâ eigene Eltern unweigerlich ausgeflippt. Sie fanden es schon furchtbar genug, als er seine Wand schwarz gestrichen und ein paar Fotos ohne Rahmen aufgehängt hat, einfach nur mit ReiÃzwecken an die Tapete gepinnt. Und dass er sich einen alten Küchentisch als Schreibtisch organisiert hat, weil er das Ikeateil aus seinem Kinderzimmer nicht mehr sehen konnte, haben sie bis heute nicht verstanden.
Bei Lukas zu Hause muss alles »ordentlich« sein. »Sonst kann man sich nicht konzentrieren, und wenn man sich nicht konzentrieren kann, kann man nicht richtig lernen, und wenn man nichts lernt, wird man auch nichts.« Originalton sein Vater, er ist nicht umsonst Buchhalter geworden! Komisch ist nur, dass
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