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Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Titel: Stoerfall - Nachrichten eines Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ist der Mann aber nicht. Warum nicht? Was er gemacht hat? Nichts, das war es doch eben. Nichts hat er gemacht, Fahrer ist er gewesen. – Fahrer bei der Gestapo, sagte der Junge, der weiter gelangweilt die Scheune betrachtet hatte, und nach diesem zweiten Satz, den er verlauten ließ, ging er. Da mischte der Mann sich ein, scharf: Fahrer, ja! Und das sei doch wahrhaftigen Gottes kein Grund gewesen! Er ging dem Jungen nach. Die Frau mußte mir noch erzählen, wie ihre Mutter, die das Land hier dann inPacht genommen hatte, sich all die Jahre über abrackerte für die vier Kinder. Und wie sie, als die Kinder groß waren und auf Besuch kamen, immer da oben vor der Veranda gesessen und ihnen nachgewinkt hat, wenn sie wieder abfuhren. So wie ich jetzt dort stehe und winke, wenn Besucher abfahren. So wie jetzt dort, ich habe es erst beim Näherkommen gesehen, unser Nachbar sitzt, Heinrich Plaack, in seiner typischen Haltung, vornübergeneigt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, schwer atmend. Er wolle man bloß den Garagenschlüssel haben, um sich Saatkartoffeln rauszuholen. Wolln doch mal sehen, ob wir heute nicht ein paar Kartoffeln in den Boden kriegen. Wetter ist ja danach. Wenn es nun man bloß nicht gleich wieder regnen täte.
    Nein, hab ich gesagt, das soll es lieber bleibenlassen. Das Leben von Heinrich Plaack währt siebzig Jahre, und es war köstlich, denn es ist Mühe und Arbeit gewesen, und es hat ihn nicht gelehrt, etwas anderes zu sagen als das, was er wirklich meint. Er meint, wir hatten erstmal genug Regen dieses Jahr, der Boden ist tief durchfeuchtet, Kartoffeln und anderes Saatgut können lange davon zehren. Ich, wenn ich ihm zustimme, denke an die Wolke, wie sie, böser und böser werdend, nach einer Wetterlage umherirrt, die es ihr erlaubt, sich abzuregnen. Wie selbst Regionen, die sonst um Regen flehen, ihn jetzt liebend gerne missen wollen. Sollen die anderen ihn abkriegen. Wir halten, für den Notfall, Regenschirm, Regenmantel, Gummistiefel bereit. Wir werden, fallses morgen, übermorgen regnen sollte, unsere Kinder nicht in die Schule, nicht bis zur Bushaltestelle gehen lassen. Werden wir ihnen auch verbieten zu singen: Es regnet, Gott segnet / Die Erde wird naß / Da freun sich die Kinder / Da freut sich das Gras. Neben dem einen Gott, der die Welt geschaffen hat und regiert, gibt es nach der Auffassung mancher Abweichler einen anderen Gott, der die Welt nicht geschaffen hat und sie nicht regiert. Einen fremden, unbekannten Gott. Indem ich mein Sinnen und Trachten auf ihn gerichtet habe, geschah es, daß ich seiner gewahr geworden bin. Eine Sekundenerfahrung, die in Worte zu fassen niemand mir zumuten wird. Nur soviel: Wenn ich mich recht erinnere, war der Gesichtssinn, unser Leitsinn, an meinem Erlebnis kaum oder gar nicht beteiligt. Obwohl ich gespürt habe, unter einer unerhörten, mich womöglich zerreißenden Anstrengung könnte ich die mich plötzlich umgebende Macht oder Kraft oder Energie oder Potenz (bis zum Schmerzhaften verdichtete Atmosphäre) auch dazu bringen, sich zu materialisieren: ihr Gesicht zu zeigen. Ich habe diese Anstrengung nicht gewagt. Eilig, eilig habe ich die Spannung, knapp ehe sie unerträglich wurde, wieder abgebaut, und meine Furcht ist groß gewesen. Etwas von Enttäuschung war ihr beigemischt. Unleugbar ist, ich habe schlappgemacht. Nicht ihn habe ich gefürchtet, den Gegengott. Ich fürchtete die Abgründe in mir selbst – was heißt: unter meiner Schädeldecke –, aus denen ein solches Un-Wesen aufsteigen könnte –
    Wir sind, Bruder, nicht darauf konditioniert, jene elektrischen Stürme in unserem Gehirn, die hin und wieder unkontrolliert ausbrechen, auszuhalten und es darauf ankommen zu lassen, was sie mit uns anstellen wollen. Bestimmte Reaktionsmuster seien in unserem Gehirn verdrahtet – dies ist der Ausdruck, den die Biologen verwenden, ohne das unschöne Bild zu scheuen, das sie uns dadurch suggerieren. Einzusehen ist, daß es zu uneffektiv, viel zu zeitaufwendig wäre, wenn einunddieselbe Reaktion auf einunddenselben Reiz sich jedesmal neu ihre Bahn durch den Dschungel des Gehirns suchen müßte: ein Wesen mit einem solchen Nervensystem hätte kaum Überlebenschancen gehabt. Aber Drähte sind es gewiß nicht, die die Operateure in deinem Gehirn vorfinden (allerdings werden sie Metallisches zurücklassen: Goldklammern, mit denen die blutenden Gefäße abgeklammert werden); sie finden jene Masse, die sich unter dem Mikroskop in Zellen auflösen

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