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Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Stoerfall - Nachrichten eines Tages

Titel: Stoerfall - Nachrichten eines Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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durch den noch winterkalten Flur, die dunkle Diele in die große Stube, wo der signalrote Apparat, gesegnet sei er, auf der Holztruhe steht; wo mir, als ich endlich den Hörer am Ohr habe, die Stimme deiner Frau, meiner Schwägerin, mitgeteilt hat, es gebe noch keine Nachricht über dich. Sie operieren noch, habe die Schwester ihr gesagt. Vor vierzehn Uhr könntest du nicht wieder auf der Station sein. Sehr lang, haben wir beide gefunden; sechs Stunden, das wäre ja sehr lang, und wir haben uns nicht laut gefragt, wofür diese lange Dauer der Operation ein Zeichen seinkönnte, haben überhaupt nur das Notwendigste gesagt, denn wir haben beide Angst gehabt, daß ein Wort zuviel einen Damm durchstoßen könnte, der noch halten mußte.
    Ich bin also durch die vordere Veranda wieder ins Freie gegangen, habe vorher nur schnell die Blumentöpfe auf den Fensterbrettern inspizieren wollen und einen freudigen Schreck bekommen: die Zucchini-Pflanzen waren aufgegangen! Siebzehn Keimlinge in acht Töpfen. Jeden habe ich in die Hand genommen, habe lange die bleichgrünen, zusammengerollten Blättchen betrachtet, jedes einzeln, wie es, mit dem Ellenbogen sozusagen, nämlich mit dem Stiel zuerst aus der Erde stößt und sich erst später, in den nächsten Tagen, aufrichten wird, das Blatt entfalten, an dessen Spitze noch der kürbiskernähnliche Samen haftet, aus dem es sich entwickelt hat – ein Vorgang, den ich nicht verstehe; den, wie ich glaube, kein Mensch wirklich versteht. Warum hat es mir soviel bedeutet, daß die Zucchini aufgegangen waren. Ich habe die größer gewordenen Pflänzchen auf dem Sonnenbeet vor mir gesehen, bei günstigem Wetter zuerst ihre Keimblätter treibend, dann in unaufhaltsamem Wachstum schlangenartig ihre rauhen Stiele herausschiebend, sie mit denen der anderen Pflanzen verflechtend. Habe die großen, gelbleuchtenden Blüten gesehen. Die Früchte: gurkenartig, schön geformt, dunkelgrün glänzend. Die Mahlzeiten im Freien, deren Mittelpunkt die panierten, gebratenen, mit Knoblauchsauce bestrichenen Zucchinischeibensein werden. Ja. Es würde wieder einen Sommer geben. Alle zusammen, viele Menschen, würden wir um den riesigen Tisch hinter dem Haus sitzen, der wieder aus der hellgrün gestrichenen Tür und zwei Holzböcken aufgebaut werden und über den ich die blaugeblümte Wachstuchdecke breiten würde, an allen vier Ecken mit Steinen gegen den Wind beschwert. Jetzt gleich, sofort, habe ich in den Stall gehen müssen, nachsehen, ob die Tür und die Holzböcke noch da waren, es hat in dem Moment nichts Wichtigeres für mich gegeben. In dem früheren Hühnerstall habe ich Beutel mit Torferde gefunden, die ich gut habe gebrauchen können, aber nicht die Tür. Im ehemaligen Pferdestall ist alles säuberlich gestapelt und an die Wand gelehnt gewesen: Tür, Holzböcke, und davor die Fahrräder. Die Fahrräder! Ich habe eines herausgezogen, habe nur auf dem Vorderrad Luft nachpumpen müssen und es vor die Tür geschoben. Gerade ist noch Zeit gewesen, zum Konsum zu fahren, ehe er schließen würde.
    Auf der verlassenen Dorfstraße hat ein Rote-Kreuz-Auto gestanden, und ich habe angenommen, eine der einsamen alten Frauen in den ehemaligen Gutsarbeiterhäusern sei krank geworden und werde abgeholt. Da ist aber niemand gewesen, den ich hätte fragen können. Die Mutter der Verkaufsstellenleiterin vom Konsum betraf es jedenfalls nicht, obwohl die schon seit Wochen ihr Bett nicht mehr verlassen hatte und von ihrer Tochter betreut werden mußte. Wenn da etwas passiert wäre, das hätte diezweite Verkäuferin gewußt. Ich habe mir die bestellten Milchflaschen in die Tasche gezählt und gefragt, ob eigentlich auch heute alle Leute ihre Milch abholen würden. Doch, hat die Verkäuferin gesagt, alle kauften ihre Milch wie eh und je, man wüßte ja nichts anderes. Schlimm, schlimm das alles, hat sie gesagt, aber unsereins könne ja sowieso nichts dagegen tun. Schließlich könne man nicht zu essen und zu trinken aufhören. Der junge Prochnow, der im Rinderstall arbeitet, hat sich ein paar Flaschen Bier geholt und mich bedeutsam angeblickt. Ich habe verstanden, was er sagen wollte. Im vorigen Herbst hat er an unserem Küchentisch seine feste Überzeugung kundgetan, daß es Außerirdische gebe, Geist-Wesen, die uns in jeder Beziehung weit voraus seien und unsere Erde fest unter ihrer Kontrolle hätten. Die es weit kommen ließen mit dem Wahnsinn der Menschheit, die aber in allerletzter Sekunde, wenn wir drauf und dran

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