Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
Vom Netzwerk:
Temperatur. Wie friedlich es hier zugeht.«
Sie betrachteten die geruhsam blöden Algenfresser. Nicht einmal wie anderswo trug ihr Antlitz pseudoteuflischen Charakter. Sie sahen einfach langweilig aus.
Als sie nach Stunden aus dreizehntausend Meter Tiefe auftauchten, äußerte er Erleichterung. Er fühlte sich als Gast und wollte seine Eindrücke als die eines Fremden verstanden wissen.
»Darf ich Sie einladen?«
»Sehr gern«, entgegnete er überrascht und bedauerte, daß er ihr nicht zuvorgekommen war.
»Es handelt sich um eine besondere Einladung«, klärte sie ihn auf. »Aber ich vertraue Ihren gesunden Sinnen. Das Leben auf Isoba ist nur dem Anschein nach harmonisch. Äußerlichkeiten täuschen Glück und Zufriedenheit vor, das regulierte Wetter, der permanente Tag. Es gibt bei uns Leute, die für die Wiedereinführung natürlicher Zustände kämpfen, denen die Sattheit und die Wärme nicht genügen. Unser Wahlspruch ist die Nützlichkeit der Gegensätze. Es findet alljährlich eine Festveranstaltung unserer Bewegung statt, der das Gerücht die Bezeichnung Schwarze Messe gegeben hat.«
»Also doch«, entfuhr es Grünspan. »Man machte mich ebenfalls glauben, es handele sich um ein Gerücht.«
»Das hat seinen Grund«, versetzte Granoveda. »Wir sind nicht direkt verboten, aber wir sind auch nicht erlaubt. Daher auch finden die Zusammenkünfte außerhalb der Städte statt, und nur Eingeweihte kennen den genauen Ort.«
Grünspan wurde die Geschichte unheimlich. Sollte er sich in Dinge mischen, die ihn nichts angingen, die noch nicht einmal legal waren? Er fragte zögernd, was denn das für eine Zusammenkunft sei, und erfuhr, daß es um das sinnlichsymbolische Erleben der Dunkelheit gehe, um die Gemeinsamkeit einer Weihehandlung, die die Gemeinschaft festige.
»Aber«, warf er ein, »bedeutet Ihre Absicht nicht historischen Rückschritt? Sät sie nicht unnötig Unruhe unter die Bevölkerung? Vielleicht haben Sie es nur verlernt, die schöne Ausgeglichenheit Ihres Daseins zu genießen. Ihre Zielsetzung erscheint mir, verzeihen Sie, illusorisch.«
»Kommen Sie heute abend«, erwiderte sie. »Überzeugen Sie sich mit eigenem Verstand. Ich bin sicher, Sie werden uns verstehen.«
»Vertritt Ihre Bewegung eine Mehrheit?«
Sie schüttelte den Kopf. »Natürlich eine Minderheit. Aber wir werden mehr. Viele meiner Mitisobaner haben die künstliche Harmonie satt. Wir wollen nichts anderes als wieder frieren und regennaß werden und uns in der Dunkelheit fürchten und lieben.«
Eine sanfte Dünung erfaßte das Boot. Dann brach ein Schwall Wassers über der Kuppel auseinander und floß, schäumend und gurgelnd, seitlich ab.
Sie liefen über das nasse, glänzende Deck. Die Brise erschien Grünspan wie ein Sturm. Die laue Wärme der Sonnen brannte mit einemmal auf seiner Haut. Überempfindsam nahm er jedes Haaraufflattern wahr. Er kam sich wiedergeboren vor. Ihm fehlte nichts zu seinem Wohlbefinden, und selbst Granovedas Rückenlinie brachte ihn nicht von dem Vorsatz ab, kühl und logisch vorzugehen. Er mußte ablehnen. Doch seine Empfindungen taumelten umeinander wie vom Wind erfaßte Blätter. Er sehnte sich nach der gewohnten Ordnung seines Lebens. Die Brise war kein Sturm! Den UV-Schwall absorbierte seine grüne Haut! Granovedas Rückenlinie verbarg das Plaid! Man muß in Relationen denken, hielt er sich vor. Die ganze Welt besteht aus Relativierung. Man muß nicht wissen, was man hat, man muß vielmehr begreifen, was einem erspart bleibt.
Als das Schiff anlegte, fragte sie: »Haben Sie es sich überlegt?«
Gerade wollte er höflich bedauern, da entdeckte er auf der Pier Pensers krumme Gestalt. Der hatte ihm gefehlt. Wenn der Wind von der Geschichte bekam, war nichts mehr zu retten. Die beiden durften sich nicht kennenlernen. Er hielt, mit einem um Verzeihung bittenden Lächeln, Granoveda die Hand hin. Sie legte ein kleines, rundes Ding hinein, das er zwangsläufig festhalten mußte.
»Dieses Gerät wird Sie führen. Die beiden Markierungen müssen sich decken, dann stimmt die Richtung.« Noch einmal wandte sie sich um, dann war sie in der Menge untergetaucht. Der Druck ihrer Hand, ihr Abschiedsgruß erregten ihn. Er wußte nicht, ob er froh sein sollte oder nicht über Pensers Gegenwart.
»Hallo!« schrie Don. »Sie sind ja ein Draufgänger. Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht. Haben Sie ein Andenken erhalten?«
Hastig steckte Grünspan den Gegenstand weg. »Nein, nein, ja, natürlich. Wir haben uns, wissen Sie,

Weitere Kostenlose Bücher