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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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Bewunderung für Ihr Volk. Verzeihen Sie daher meine Neugier.« Obwohl er nicht log, sondern allenfalls nur die halbe Wahrheit aussprach, lief eine heiße Welle über sein Gesicht, denn die Anmut ihres Wesens bezauberte ihn. Wieder einmal beglückwünschte er sich zu dem Grün, das seinem Erröten vortreffliche Tarnung bot. Schließlich war er gänzlich dem Alter entwachsen, wo es erlaubt ist.
Sie nannte ihren Namen und fragte: »Woher kommen Sie?«
»Ich bin ein Mensch von der Erde.«
»Oh«, rief Granoveda überrascht, »ich dachte, die Erdenmenschen seien braun oder hellfarben.«
Er sah sich veranlaßt, sein Mißgeschick zu erklären und geriet dabei unversehens ins Plaudern. Voller Anteilnahme lauschte sie seinen Beschreibungen, und ihre Bewunderung, der sie an manchen Stellen unverbildet Ausdruck gab, tat ihm wohl. Mit erfrischten Sinnen vernahm er seine Geschichten, und sie erstaunten ihn selbst. Nicht, daß er aufgeschnitten hätte, doch verströmten sie das Fluidum der Gefahren, die der Kosmos bereithält. Sie vermittelte eine Ahnung von der Gewalt von Sonneneruption und magnetischen Stürmen. Er beschrieb das Leben auf schattenlosen Wüstenplaneten und das Dasein von Völkern in Methaneiseinöden. Überall hatte er Sonnenschirme verkauft. Seine Schilderungen erregten offenkundig ihre Phantasie. Sie atmete beherrscht, aber tief, und ihr Blick ging in eine unbestimmte Ferne. Erst als er die Wirkungsweise des Sonnenschirms erläuterte, schien sie in die Gegenwart zurückzukehren. Ihre Blicke begegneten sich, und sie rief: »Sie sind ein Mensch mit einem guten Willen. Wie selten vereinen sich in einem Wesen Fähigkeit und Wollen. Ich glaube, Sie tragen die Gabe zu Großem in sich.«
Lächelnd wehrte Grünspan ab. »Nun ja, ich habe ungerechte und gerechte Welten kennengelernt, aufstrebende und verfallende. Aber sie alle prägte das Bedürfnis, den Naturgewalten Stirn zu bieten, Harmonie zu suchen. Sei es unter einem Sonnenschirm. Das ist die Erfahrung meines Lebens. Sie verlangt nach Fortführung. Der Gedanke verfolgt mich: Das Prinzip der Harmonie. Isoba! Der Ausgleich von äußerlichen Gegensätzen, wie heilsam wirkt er zurück auf das Innere, auf Denken und Fühlen.«
Das Schiff hatte seine Geschwindigkeit erhöht, und der Fahrtwind brachte Kühlung über alles Erwarten hinaus. Ihr Haar setzte dem Sog Widerstand entgegen. Doch manchmal unterlag es und hob sich in welliger Geschlossenheit von ihren Schultern, dann sank es zurück. Ein Panzer, filigran und schwer, schleierleicht und undurchdringlich.
In leiser Vibration erzitterte das Deck des Schiffes. Offenbar hatte der Kapitän seinen Spaß daran und wollte auch den Passagieren Abwechslung verschaffen. Das Schiff raste über die Wasseroberfläche. Sie mußten sich an der Reling festhalten. Grünspan überlief ein Schauder.
»Aber Sie frieren ja«, sagte sie. »Sie hätten sich wärmer anziehen sollen.«
Er zog die Schultern hoch. Ihr Blick tröstete ihn, und wenngleich in ihren Worten kein Vorwurf lag, fühlte er sich doch zurechtgewiesen.
»Haben Sie nicht den Wetterbericht für heute verfolgt? Ein Tiefausläufer bringt vorübergehend kühle Meeresluft heran. Man kann sich darauf verlassen. Aber es ist nicht Ihre Schuld«, fuhr sie fort. »Man hätte Sie darauf hinweisen müssen. Schließlich sind Sie fremd auf Isoba.«
Aus den Augenwinkeln heraus musterte er ihre Bekleidung, eine Art Plaid aus einem wolligen Gewebe. Sie trug die Last mit Grazie. Welch eine Zierlichkeit! Welch erstaunenswerte Haltung.
»Der Wetterbericht«, murmelte er verstört, »in der Tat, ich nahm ihn nicht zur Kenntnis.« Erleichtert gehorchte er der Stimme, die ihn ersuchte, sich unter Deck zu begeben.
Wellen überfluteten die Durchsichtigkeit der Panoramakuppel. Das Himmelsblau verblaßte zur Helligkeit, deren Leere schließlich Grün ausfüllte. Ringscheinwerfer dehnten den Raum, verdrängten scheinbar das Medium, so daß die unterseeische Welt wie in Licht schwebend erschien. In entsetzlicher Ruhe umdrängten sie die Wesen der Tiefe. Des Lebens Gleichmaß hatte sie mit Trägheit versehen. Sie ignorierten einander, und ihr Interesse an dem Eindringling war stumpf. Kein Feind hatte sie je in ihrer Stetigkeit belästigt. Ihr Schutz bestand in dem ungeheuren Druck, der alle Aktivität hemmte.
»Das ist ein kosmisches Prinzip«, erklärte Grünspan ihr. »Raubfische schulen die Wachsamkeit ihres Instinkts an der Veränderung. Sie brauchen oberflächliche Gewässer, Strömung,

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