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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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es? Wem nützen solche obskuren Veranstaltungen? Wem, außer ein paar Unruhestiftern, denen es zu anstrengend ist, sich auf geradem Weg gesellschaftliche Anerkennung zu erwerben, sowie einigen verführten Romantikern?« Er rechnete Granoveda zu den letzteren. In Eifer geredet, wetterte er wie ein Kanzelprediger, der mit den Sünden der Welt abrechnet: »Die Menschen brauchen solchen Unfug nicht. Was wir brauchen, ist Ruhe und Kontinuität. Leider erlauben uns unsere Möglichkeiten nicht, noch nicht, das Wetter zu regulieren. Aber ich bitte Sie, könnte man nicht wenigstens so tun?« Er packte Penser am Arm. »Das wäre doch ein erster Schritt. Man muß die Zukunft vorbereiten. Gehen Sie mit mir. Wir beide…« Von der Größe des Gedankens, der sich da tief in seinem Inneren formte, fasziniert, verstummte er.
Den ganzen Abend blieb er schweigsam in sich gekehrt, während Penser sich in den absurdesten Theorien über das Gegeneinander der Kräfte, den Wechsel der Qualitäten und das Glück erging.
Gegen Mitternacht brachen sie auf. Noch hatte Grünspan seinen Zwiespalt nicht überwunden. Doch schien ihm die Absicht, Penser zu überzeugen, Rechtfertigung genug zu sein, kosmische Gepflogenheiten zu ignorieren. Der Zweck heiligt die Mittel, sagte er sich, und hatten ihn nicht gerade die Erfahrungen in der Fremde dem irdischen Gedanken näherkommen lassen – der Idee vom Fortschritt? Wenn es einmal Zweifel in ihm selbst gegeben hatte, er hatte sie besiegt. Der Kampf mit sich selber ist der schwerste, dachte er begeistert; doch siegt man, so ist es der grandioseste Sieg. Er sah sich verpflichtet, Penser Kredit einzuräumen. Zuneigung schafft Verantwortung, sagte er sich, und wieder einmal fühlte er, daß er dem Auftrag seines Lebens sehr nahe war.
In Dreieckskonstellation standen die drei künstlichen Sonnen im Zenit. Längst war das Zentralgestirn unter dem östlichen Horizont versunken. Wie eine Watteschicht lag ein fahles, schattenloses Licht auf den Wegen.
Der Angabe des Kompasses folgend, gelangten sie bald in unwegsames Gelände. Sie balancierten an steilen Bachufern entlang und über abschüssige Hänge. Unterholzüberwucherte Baumleichen zwangen sie öfter zu Umwegen, so daß sie ohne Orientierungshilfe in kürzester Zeit hoffnungslos verirrt gewesen wären.
Nach knapp zweistündigem Marsch standen sie am Eingang eines Talkessels. Die Mündung der Höhle nahm Grünspan erst im allerletzten Augenblick wahr, als dicht vor ihnen, die Aufmerksamkeit des Blicks provozierend, eine Gestalt in der Wand verschwand. Ihr folgend, gelangten sie durch einen Stollen in einen düster erhellten Dom.
Eine Isobanermenge wartete dichtgedrängt in feierlichem Schweigen. Konzentrisch umschlossen die Anwesenden einen erhöhten Platz, welcher ebenso wie die Wände mit schwarzem Tuch bedeckt war.
»Sehen Sie sich das an«, flüsterte Grünspan, »offenbar Sektierer, Mystiker und wer weiß was. Weltliche Dinge, ha! Wissenschaftlichkeit? Es wird so unwissenschaftlich wie nur möglich zugehen.«
»Warten wir ab«, gab Penser zurück. »Werden nicht auch bei uns auf der Erde die weltlichsten Gegenstände oft rituell verbrämt? Vielleicht haben sie ihre Freude an der Düsternis, vielleicht genießen sie die Schwärze.«
»Freude? Ich bitte Sie! Wie sollte man angesichts einer Gruft Genuß empfinden. Das wäre pervers.«
»Wissen Sie«, vernahm er kaum hörbar Pensers Antwort, »was mir mein Lebtag auf der Erde Schwierigkeiten eingebracht hat, ist die unselige Eigenschaft, wissen zu wollen, was die Menschen wirklich bewegt. Man stößt auf die erstaunlichsten Differenzen zwischen dem, was sie sollen wollen, und dem, was sie wirklich wollen.«
»Aber ich bitte Sie«, ereiferte sich Grünspan dicht an Pensers Ohr, »das wurde durch MK-Bedarfsanalysen längst ermittelt. Überlassen Sie solche Dinge den Mikro-Kristalliden.« Der Satz hallte in ihm wie ein Echo. Wo hatte er ihn schon einmal vernommen?
»Die MKs«, bemerkte Penser nach einem kurzen Blick in die Runde, »werden von Menschen vorprogrammiert. Ihre Entwicklung wird überwacht: von Prüden, von Moralisten, von Scheinheiligen und Karrieristen, von Machthungrigen, von…«
»Don«, wisperte Grünspan empört, »ich muß an Ihre Intelligenz appellieren. Ihre Einschätzung ist nicht nur einseitig, sondern auch oberflächlich. Man könnte denken, Sie meinen nicht die moderne menschliche Gesellschaft, sondern…«
Eine Bewegung, die sich durch die Reihen fortpflanzte, unterbrach ihren Disput.

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