Stollengefuester
diese muskulösen Kerle, die ihr Leben riskierten und es nicht selten auch verloren.
Ja, aus der Ferne und vor allem bei Föhn, da konnte man die Alpenkette sogar schön finden, erhaben und sich in heimatlichen Gefühlen suhlen.
Als Bub musste er im Sommer und im Herbst jeden Sonntag in die Berge. Mit seinem Vater. Und seinem Onkel. Dabei hätte er lieber gespielt. Dieser Onkel hatte ihm zwar an Weihnachten große Schachteln voll Legosteine geschenkt, aber im Sommer war er der Ansicht, der Bub müsse an die frische Luft. Einmal unterwegs, würde es ihm sicher gefallen.
Das hatte es nicht.
Aus der pädagogischen Mission des Onkels war Bastians Abneigung gegen die Alpen entstanden. Er hatte nie die geringste Lust verspürt, im Simmental oder sonst wo im Oberland zu ermitteln. Nur im einen oder anderen kleinen Fall, wenn Dorfpolizist Bucher alleine nicht zurechtkam. Im letzten Herbst hatte er Nore Brand hinaufgeschickt, weil er sich eine saumäßige Erkältung zugezogen hatte. Zum richtigen Zeitpunkt.
Bastian Bärfuss dachte an den Hoteldirektor und schüttelte bedauernd den Kopf. Er hatte ihn nie gesehen, nur von ihm gehört.
Der Direktor sei regelmäßig draußen gewesen, um seinen Kopf zu lüften. Das sei doch verständlich. Nicht einmal die Hoteldirektoren in den Bergen führten heutzutage ein beschauliches Dasein. Bedauernswerte Kerle. Bärfuss hörte den Chef sinnieren.
Aber welcher Idiot geht denn im November noch in den Bergen wandern?
Bärfuss kam in den Sinn, dass er vergessen hatte, dem Chef einen schönen Tag zu wünschen.
Er schaute das Telefon an, zögerte einen Augenblick und drückte dann die Nummer von Nore Brand. Sie sollte diese Sache von ihm erfahren; schließlich hatte sie vor genau einem Jahr mit dem Direktor des Grandhotels Belvedere an der Lenk zu tun gehabt. Seltsame Geräusche und Töne machten ihm klar, dass sein Anruf mit Hilfe von mysteriösen technischen Tricks weitergeleitet wurde. Nach einigen weiteren Versuchen erklärte ihm eine junge Frauenstimme, dass Nore Brand außer Haus sei.
Er ärgerte sich über sich selbst. Was war er doch manchmal für ein vergesslicher Trottel. Er hatte es doch gewusst.
Immerhin, so eine frische, freundliche Frauenstimme am Morgen früh war sehr nett. Da fiel ihm ein, dass er keine Ahnung hatte, wie das Gesicht aussah, zu dem diese Stimme gehörte. Eigentlich schade. Sobald er sich einen Namen und ein Gesicht des weiblichen Nachwuchses im Haus gemerkt hatte, war wieder eine andere junge Dame da. Dass sich diese jungen Dinger immer so ähnlich sein mussten. Man konnte sie kaum auseinanderhalten.
Bis dann endlich mal die Jahre über die hübschen Gesichter gezogen waren. Dann hatte man Individuen vor sich. Menschen, die man sich merken konnte. Nur zogen die meisten lange vorher weiter, in ein anderes Haus, an eine neue Stelle.
Er bedankte sich für die Auskunft und wünschte der schönen, jungen Stimme einen angenehmen Tag.
Seufzend legte er den Hörer auf und zündete sich die Pfeife an. Er packte die Tageszeitung. Auf die jungen Bären im Bärenpark wartete die Spritze. Sie sollten eingeschläfert werden. Junge Bärenkräfte einschläfern!
Eine Bärenfrau müsse Mutter werden können, erklärte der Experte im Interview, das bedeute Lebensqualität für die Bärenmutter. Bärfuss betrachtete das Bild der jungen Bären. Sie waren eben dabei, ein Bäumchen umzulegen.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte man die jungen Bären geschlachtet und genüsslich verzehrt, in der Hoffnung, dass dieses Fleisch Bärenkräfte verleihen würde. Bärenwurst und Bärenfilet wurden aufgetischt in ausgewählten Berner Gaststuben. Und jetzt das.
»Die sind doch alle plemplem!«, hörte er seine Tante. Kurz und bündig, aber laut und wütend, wie es ihre Art war. Er lachte tonlos und blätterte weiter.
Doch seine Gedanken kamen nicht zur Ruhe.
Mit einem Seufzer faltete er die Zeitung zusammen und stopfte sie in seine Jackentasche.
Da war nichts zu machen; er dachte an die Bergfestung im oberen Simmental. Nore Brand war da in einen gewaltigen politischen Fettnapf getreten. Der Chef hatte sie mit Talverbot bestraft. Der Chef hatte auch ihn zitiert und Redeverbot erteilt. So etwas hatte er nie zuvor erlebt. Bärfuss hatte aber begriffen, dass sich da irgendwelche Geheimdienste zusammengetan hatten. Das Wenige, das er wusste, hatte ihm Nore erklärt. Aber ihm war klar, dass sie das Wichtigste davon verschwieg. Dazu passte, dass Nore seither vom Chef mit einem seltsamen
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