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Stolperherz

Stolperherz

Titel: Stolperherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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gerade mich auf eine Tour mitnehmen wollen, wenn sie doch jedes Mädchen haben konnten? Sie hatten also eine Wette abgeschlossen, wer das seltsame, verschlossene Mädchen zuerst knacken würde.
    Greg, der seinen Song für ein Mädchen namens Marie geschrieben hatte.
    Greg.
    Die Wucht der Enttäuschung traf mich so hart, dass ich das Gefühl hatte, mit einer riesigen Schmerzwelle in die Brandung gegen eine Wand von Klippen geschleudert zu werden. Noch bevor ich meine Augen überhaupt öffnen konnte, rannen Tränen aus ihnen.
    »Sanny! Du bist wach!« Greg beugte sich über mich, während er meine Hand immer noch hielt. Ich entzog sie ihm, öffnete die Augen und sah direkt in seine.
    »Geht weg«, sagte ich.
    »Aber wir … Es tut mir so leid, es ist alles meine Schuld, wir wollten …«
    »Geht«, wiederholte ich leise, aber mit fester Stimme. »Geht einfach.«
    In diesem Moment betrat meine Mutter das Zimmer. Es war ein seltsames und verwirrendes Gefühl, sie alle zusammen in einem Raum aufeinandertreffen zu sehen. Sie kannten völlig unterschiedliche Sannys; es passte einfach nicht, sie in einem Raum zu sehen.
    »Was zum Teufel sucht ihr hier?«, regte sich meine Mutter auf, »Sanny braucht absolute Ruhe! Dass ihr es überhaupt noch wagt, hier aufzukreuzen, ich rufe sofort die Polizei …«
    »Schon gut«, besänftigte ich meine Mutter, »sie wollten sowieso gerade gehen.«
    »Sanny, es tut mir …«
    »Lebt wohl«, sagte ich und drehte mich weg.
    *
    Ich musste zur Sicherheit noch drei weitere Tage im Krankenhaus bleiben, bis man alle Risiken ausschließen konnte. Sogar Paps war von irgendwoher gekommen und er und Lisa saßen Tag und Nacht besorgt an meinem Bett. In diesen drei Tagen sagte ich kein einziges Wort. Vielleicht, um mir Vorwürfe zu ersparen, vielleicht aber auch, weil mir einfach nicht nach Reden zumute war, so ganz wusste ich das selbst nicht.
    Lisa hatte mir in einer ihrer Vorträge über gesunde Lebensmittel mal erklärt, wie man das Fleisch einer Avocado, die man aufgeschnitten hatte, länger frisch halten konnte. Man musste den Kern einfach in der Avocadohälfte lassen, die man aufbewahren wollte, dann verfärbte sie sich nicht schwarz, sondern blieb grün und frisch. Nimmt man den Kern heraus, geht das Innere eine Verbindung mit dem Sauerstoff ein und verdirbt.
    Greg war mein Avocadokern gewesen – mit ihm hatte ich mich lebendig gefühlt, stark, mutig.
    Mit ihm hatte auf einmal alles Sinn gemacht – er hatte die schwächsten und die stärksten Seiten in mir hervorgebracht.
    Mit ihm war mir alles eingefallen, was ich nie gesagt hatte.
    Er hatte mich dazu gebracht, zu kämpfen.
    Aber was machte es für einen Sinn, dafür zu kämpfen, ein Jemand zu werden, wenn man am Ende doch wieder nur ein Niemand war?
    Die Heimfahrt schien endlos lang zu sein. Ich hatte mich auf die Rückbank des SUV gelegt und in zwei Decken eingewickelt, die Lisa mitgebracht hatte. Die sechs Stunden bis nach Hause kamen mir vor wie Lichtjahre, zurück in eine Vergangenheit, in der ich genauso wenig sein wollte, wie in der Gegenwart.
    Ich wollte überhaupt nichts mehr, außer schlafen. Lisa riss sich zusammen, was die Härte der Vorwürfe betraf, das merkte ich an ihrer zurückgenommenen Stimme. Vielleicht war es auch nur, weil Paps dabei war, der sie von jeher bei solchen Themen bremste. Vielleicht aber auch, weil ihr klar geworden war, dass keine Bestrafung ihrerseits so schlimm sein konnte, wie die, die ich mir selbst eingebrockt hatte. Ich hatte alles verloren, was mir wichtig war, und auch wenn ich ahnte, dass sie höchstens einen Bruchteil von dem, was ich versuchte, ihr zu erklären, verstanden hatte, schien sie ein wenig besänftigt zu sein. Natürlich hielt sie ihre Zurückhaltung trotzdem nicht lange durch und nutzte fast die gesamte Heimfahrt für eine Moralpredigt.
    Aber ihre Stimme war nur ein dumpfer Hall, der immer mehr zu einem weit entfernten Gemurmel wurde, während ich draußen die Gegend an mir vorbeiziehen sah. Es hatte geregnet und alles wirkte grau und eintönig. Der Sonnenschein fehlte – aber die trübe Landschaft passte genau zu meiner Stimmung.
    *
    Tock!
    Tock!
    Tock!
    Tock! Tock!
    Tock! Tock! Tock!
    Ich schreckte aus dem Schlaf auf – wie viel Uhr war es?
    Tock!
    Tock!
    Tock! Tock!
    Ich rieb mir die Augen, als es wieder leise an der Fensterscheibe tockte. Wenn ich nicht wollte, dass das gesamte Morsealphabet an mein Fenster geworfen wurde, würde ich es wohl oder übel aufmachen müssen. Ich

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