Stolperherz
überhaupt erfahren: Steve Harris is in town! Heute schon in Berlin, morgen spielt er da im C-Club. Da muss ich unbedingt hin! Wer ist dabei?«
»Dan-ke«, murmelte ich ihm leise hinterher.
Michelle und Kira, die sich bis zu diesem Augenblick leise tuschelnd zurückgehalten hatten, kamen jetzt kichernd auf mich zu.
»Du liebst also Kappen und Sterne?«
Prustend fielen sie sich in die Arme.
»Schttt!«, zischte ich, »haltet bloß die Klappe!«
Aber die beiden kriegten sich kaum mehr ein und ich merkte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Wenn ich es doch verdammt noch mal hinkriegen könnte, in Gegenwart dieses wahnsinnigen Typen nicht ständig wie eine komplett verblödete Gans zu wirken!
Ich nahm die Kappe, zog meine Haare, die ich zu einem Pferdeschwanz zusammenhielt, durch den Klettverschluss und setzte sie mir auf. Sie passte perfekt.
»Steht dir echt gut!«, sagte Kira, die sich als Erste beruhigt hatte.
»Stimmt«, pflichtete ihr jetzt auch Michelle bei.
»Dann kann ja nichts mehr schiefgehen.« Kira hakte sich bei mir ein und sah mich verschwörerisch an. Ich hoffte, dass sie dichtgehalten und Michelle nichts von meiner neuen Identität als Bonnie erzählt hatte. Aber Michelle wirkte nicht so, als ob sie wisse, wovon Kira sprach, und so war ich beruhigt. Meine roten Haare waren ab sofort gut unter der Kappe versteckt, und den Pferdeschwanz wickelte ich zu einem kleinen Dutt zusammen, sodass meine auffällige Haarfarbe kaum mehr sichtbar war. Ich war wieder genau so unauffällig wie vor der Tour, als ich die unsichtbare Sanny war, und nicht die Red, zu der ich auf meiner Reise geworden war. Und zum ersten Mal war es sogar sinnvoll, sich unsichtbar machen zu können.
Erleichtert atmete ich aus und lächelte die Mädels an.
»Los, kommt«, sagte Michelle, »heute wird’s übel und gefährlich, da müssen wir passend angezogen sein.«
»Stimmt«, sagte Kira. »Sagt mal, was trägt man denn so in ’nem Bunker?«
Wir lachten und auf einmal wirkte alles wieder leicht, so, als ob mein Leben doch kein einziges Desaster war, sondern eigentlich ganz annehmbar.
*
Sich knapp tausend Leute in einem ehemaligen Bunker vorzustellen ist an sich schon eine abgefahrene Sache. Die Atmosphäre, die von diesem Gebäude ausging, war mehr als nur beeindruckend. Sie hatte etwas Elementares, Schützendes und etwas Bedrückendes zugleich. Der Club befand sich im vierten Stock des Flakturms und war aufgeteilt in drei Flächen: einen Ballsaal, ein Turmzimmer und eine Dachterrasse. Das Konzert fand im Ballsaal statt, eindeutig dem größten Raum des Bunkers.
An der Decke befanden sich riesige, metallene Röhren, die Wände waren graue, kalte Bunkermauern und das alles strahlte eine sehr stylische Fabrikatmosphäre aus.
»One, two, three …«
Der Klang der Drumsticks beim Anzählen war mir mittlerweile sehr vertraut, und jedes Mal, wenn ich ihn hörte, musste ich lächeln.
Ich kannte die Abfolge der Songs und ich genoss Gregs Solos, wenn er die Augen schloss und ganz in der Musik versank. Lex’ verlängertes Schlagzeugspiel, das er hinauszog, solange er konnte und in das er noch den einen oder anderen Turn mehr einbaute, wenn er so richtig in Fahrt war. Flockes obligatorische Jelly Beans und sein pantomimischer Gesang zu den Songs. Schleichers heimliche Blicke Richtung Kira, Tobis gute Stimme, Michelles Kreischen, Kiras Lachen. Das alles war mir nicht nur vertraut, sondern es gab mir auch ein wunderbares Gefühl von Geborgenheit, von Sicherheit, hier und jetzt richtig zu sein.
Ich wiegte mich im Takt der Musik und schloss die Augen.
Ich war glücklich.
*
Als der Gig vorüber war, legte noch je ein DJ im Ballsaal und im Turmzimmer auf. Mir war vom Tanzen, Mitsingen und Klatschen ganz heiß und ich brauchte eine Abkühlung. Also beschloss ich, nach oben auf die Dachterrasse des Bunkers zu gehen.
Als ich am Fahrstuhl ankam, sah ich, dass Lilly recht hatte: Es gab wirklich einen Liftboy und er war tatsächlich verkleidet. Er trug eine Art Fantasieuniform, die an einen General erinnerte. An den Schultern klebten Aluschnipsel und auf dem Kopf hatte er eine Generalsmütze mit einer Rasierklinge vorne drauf. Die Klinge war das Emblem des Clubs und überall zu finden. Als ich in den großen Aufzug aus Stahl einstieg, nickte ich ihm kurz zu – ich konnte seine Augen nicht sehen, denn er trug eine Sonnenbrille.
»Hi«, sagte er.
»Hi.«
»Bergauf oder bergab?«, fragte er.
»Bergauf«, antwortete ich schwer atmend
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