Stop saying Goodbye: Roman (German Edition)
in einer neuen Wohnung, einer neuen Stadt überfiel mich schon ziemliches Heimweh, wobei ich weniger unser altes Haus oder meine ehemaligen Freunde vermisste und mich deswegen einsam fühlte, als vielmehr Sehnsucht nach dem Gefühl tröstlicher Vertrautheit hatte, für die Mom stand. Es waren Kleinigkeiten; ihr Geruch beispielsweise oder dass sie einen immer zu fest umarmte oder mir so ähnlich sah, dass mir ein einziger Blick in ihre Richtung genügte, um mich auf merkwürdige Weise meiner selbst versichert zu fühlen. Doch irgendwann fiel mir (zum Glück) immer wieder ein, dass ich mich nicht wirklich nach
ihr
sehnte, sondern nach einer Fata Morgana, nach der Illusion dessen, für wen ich sie gehalten hatte: die Frau, der unsere Familie so sehr am Herzen lag, dass sie uns niemals auseinandergerissen hätte. Die das Meer so liebte, dass sie, ohne groß nachzudenken, gern spontan ein paar Klamotten für einen kleinen Ausflug gen Osten zusammenpackte und aufbrach, egal wie das Wetter war, egal zu welcherJahreszeit, egal, ob wir es uns überhaupt leisten konnten, im
Poseidon
abzusteigen, dem heruntergekommenen Motel mit Meerblick, das wir so liebten. Die im
Mariposa Grill
am Ende der Bar saß, Brille auf der Nasenspitze, und in den ruhigen, trägen Stunden zwischen Mittags- und Abendgeschäft Belege sortierte; die am Kamin Stoffquadrate aus Stücken unserer abgelegten Klamotten – und sie verwendete auch noch das letzte Fitzelchen – zu Quilts zusammennähte, unter denen man schlief wie unter einer Decke aus Erinnerungen. Nicht nur ich war weg. Sie auch.
Am intensivsten dachte ich an Mom jedoch nicht an einem ersten Tag in einer neuen Schule oder an einem Feiertag, den wir nicht zusammen verbrachten; nicht einmal, wenn ich einen flüchtigen Blick auf sie erhaschte, weil sie vor einem
Defriese -Match
im Scheinwerferlicht der Kameras auftauchte und ich es nicht rechtzeitig geschafft hatte, auf einen anderen Sender umzuschalten. Merkwürdigerweise geschah es in der Regel, wenn ich Abendessen kochte. In einer fremden Küche stand, Fleisch in einer Pfanne anbriet. Eine Fertigsoße mit einer klein geschnittenen grünen Paprika verfeinerte. In der Abenddämmerung eine Suppendose, eine Hühnerbrustpackung, eine Kartoffelchipstüte öffnete und dabei im Stillen hoffte, es würde mir gelingen, aus nichts etwas zu machen.
***
Wann und wo auch immer mein Vater auftauchte, um ein Restaurant zu übernehmen, gab es unweigerlich einen Menschen, der den Widerstand verkörperte. Jemanden, der jede Form von Kritik persönlich nahm, sich gegen jegliche Veränderung auflehnte und unter Garantie die Meute der Meckerer anführte. Im Fall des
Luna Blu
hieß dieser Mensch Opal.
Sie war die derzeitige Managerin, die auffallend große junge Frau mit den tätowierten Armen, die dafür gesorgt hatte, dass wir überhaupt bedient wurden. Als ich am nächsten Tag für ein frühes Abendessen in das Lokal kam, war sie wie ein altmodisches Pin-up-Girl gestylt: das dunkle Haar zu einem hoch angesetzten Pferdeschwanz zusammengerafft, knallroter Lippenstift, Jeans, rosa Flauschpullover mit Perlmuttknöpfen. Während sie meine Cola holte und meine Bestellung entgegennahm, war sie nett und freundlich. Doch kaum hatte ich mein Essen bekommen und sie sich zu meinem Vater gesellt, um die Unterhaltung fortzusetzen, welche die zwei bei meiner Ankunft unterbrochen hatten, wurde rasch deutlich, was für ein hartes Stück Arbeit vor ihm lag.
»Ich halte das für keine gute Idee«, sagte sie zu ihm; sie stand ihm gegenüber an dem einen Ende der Bar, ich saß am anderen. »Die Leute werden sich vehement beschweren. Sie sind es gewöhnt, dass sie ihre Rosmarinbrötchen bekommen. Sie
lieben
ihre Rosmarinbrötchen.«
»Die Stammgäste vielleicht, ja«, erwiderte mein Vater. »Aber so viele Stammgäste habt ihr gar nicht. Und eins ist nun mal leider Tatsache: Eure Gratis-Rosmarinbrötchen sind weder ein besonders kostengünstiger Appetithappen noch steigern sie den Umsatz. Was ihr braucht, sind mehr Kunden, die mehr zu essen und zu trinken bestellen, anstatt ein paar wenige Gäste, die sich für lau vollstopfen.«
»Trotzdem erfüllen sie ihren Zweck.« In Opals Tonfall schlich sich eine gewisse Schärfe ein. »Wenn die Leute erst einmal mit den Rosmarinbrötchen angefangen haben, bekommen sie größeren Hunger und bestellen deshalb mehr als ohne Brötchen.«
»Also waren die Leute, die gestern Abend hier an der Bar hockten, ausschließlich das
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