Stop saying Goodbye: Roman (German Edition)
sah wie gebannt zu, während er es in aller Seelenruhe überstreifte, aufstand und sich seine Lektüre schnappte; jetzt konnte ich auch erkennen, dass es sich um ein Lehrbuch handelte. Wieder strich er sich mit einer Hand das Haar aus dem Gesicht, drehte sich um, blickte mir durch die Glasscheibe zwischen uns direkt ins Gesicht.
Tut mir leid
– sein Mund formte die drei Silben lautlos.
»Mclean«, rief Dad aus dem Eingangsbereich; seine Stimme hallte laut durch den leeren Flur. »Ich habe deinen Laptop mit reingebracht. Soll ich ihn in dein Zimmer stellen?«
Ich stand wie eingefroren da und starrte den Kerl an. Er hatte strahlend blaue Augen, sein Gesicht war winterblass, aber mit knallroten Wangen. Ich war noch schwer am Überlegen, ob ich meinen Vater zu Hilfe rufen sollte, da lächelte der Junge mich an und salutierte lässig, indem er mit den Fingerspitzen seine Schläfe berührte. Drehte sich um, schlenderte über die Terrasse zu den Stufen in den Garten, ging am Basketballkorb vorbei und sprang überraschend elegant über den Zaun auf das Nachbargrundstück; offenkundig hatte er Übung darin. Als er die seitlichen Treppen zur dortigen Veranda hochstieg, öffnete sich die Küchentür.Das Letzte, was ich von ihm sah, war, dass er seine Schultern straffte, als würde er sich gegen etwas wappnen. Dann verschwand er im Inneren des Hauses.
»Mclean?«, rief mein Vater erneut. Er näherte sich, seine Schritte hallten im Flur wider. Als er in Sichtweite kam, hielt er meine Laptoptasche hoch. »Wo möchtest du den hinhaben?«
Ich warf erneut einen Blick zum Nachbarhaus hinüber, das der Typ soeben betreten hatte. Was war da los? Wer hängt in einem Haus ab, das er für leer hält, wenn er direkt nebenan wohnt? Doch nur jemand, der sich dort aus irgendeinem Grund zu Hause
fühlt
(selbst wenn er gar nicht dort lebt).
Was bei ihm eindeutig der Fall war. Denn wenn jemand irgendwo
hingehört
, merkt man das. In dem Punkt kann man sich nicht verstellen.
»Danke.« Ich drehte mich zu Dad um. »Stell ihn einfach irgendwohin.«
Zwei
Wenn man einen Koch als Vater hat, gehen die Leute automatisch davon aus, dass er auch zu Hause immer das Essen macht. Was auf unsere Familie nicht zutraf. Im Gegenteil, wenn Dad endlich abhauen konnte, nachdem er stundenlang in seiner Restaurantküche gestanden und Speisen zubereitet oder andere dabei beaufsichtigt hatte, war Am-Herd-Stehen so ziemlich das Letzte, worauf er Lust hatte.
Deshalb war meine Mutter in puncto Essenszubereitung meistens auf sich allein gestellt, dabei waren ihre Kochkünste definitiv nicht gourmet-tauglich. Dad konnte aus den entsprechenden Zutaten die perfekte weiße Soße herstellen und sie gelang immer; Mom hingegen schwor auf Cremesuppen aus der Dose: Hühnercremesuppe zu Hühnerbrust, Broccolicremesuppe zu Ofenkartoffeln, Champignoncremesuppe als weiße Soße zu … na ja, so ziemlich allem. Wenn sie wagemutiger Stimmung war oder Lust auf etwas Extravagantes hatte, streute sie zerbröckelte Kartoffelchips über das, was auch immer sie gerade ziemlich improvisiert zusammengemixt hatte, und nannte es Garnierung. Wir ernährten uns überwiegend von Gemüsekonserven sowie in der Mikrowelle aufgetauten Hühnerbrüsten, und der geriebene Parmesan kam aus der Supermarkt-Streudose. Ich fand das völlig okay.
Sofern mein Vater an seinen wenigen freien Abenden daheim zum Kochen bewegt werden konnte, wurde grundsätzlich gegrillt. Dann wendete er draußen fachmännisch Lachs- oder T-Bone -Steaks und zwischendrin gab’s eine Runde Korbleger; das Brett, an dem unser zerfledderter Basketballkorb hing, war so dicht an dicht mit
Defriese -Auf klebern
übersät, dass das Weiß kaum noch durchschien. Meine Mutter stand derweil drinnen in der Küche, öffnete einen Beutel Salatmischung, schmiss ein paar Croutons aus der Packung drüber und krönte das Ganze mit Fertig-Salatsoße. Klingt vielleicht komisch, ja sogar unpassend, diese Kombi aus perfekt Gegrilltem, Basketball und Instantsalat. Doch sie funktionierte wunderbar, warum auch immer.
In den ersten Tagen und Wochen, nachdem die Ehe meiner Eltern implodiert war, stand ich unter Schock. Vielleicht war ich ja naiv, aber ich war immer davon ausgegangen, dass sie das perfekte Liebespaar
made in the USA
waren,
Love Story
(der Film) pur. Sie stammte aus einer wohlhabenden Südstaatenfamilie mit so guten Genen, dass jede Generation unweigerlich eine bis mehrere Schönheitsköniginnen hervorbrachte. Er war das einzige,
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