Storm: Thriller (German Edition)
zweihundert Meter, vielleicht sogar noch mehr«, schätzte Grieco. Wir machten uns zu dritt auf den Weg.
»Sie haben gesagt, dass die Opfer in den Kopf geschossen wurden?«, wollte ich wissen. »Ist das richtig?«
»Ja«, erwiderte Grieco düster. »Voll auf die Zwölf, wenn Sie meine Ausdrucksweise entschuldigen wollen. Da hat jemand genau gewusst, was er tut. Ich hoffe bloß, er hängt nicht noch irgendwo rum und beobachtet uns.«
»Und das richtige Gerät hat er auch gehabt«, sagte ich. »Bei dieser Entfernung.« Wenn er einen Schalldämpfer benutzt hatte, dann war klar, wie der Schütze vollkommen unbemerkt hatte entkommen können.
Ich hörte, wie Sampson vor sich hin murmelte: »Verdammt, die Geschichte kotzt mich jetzt schon an.«
Ich blickte über meine Schulter zurück. Von meinem Standort aus konnte ich nicht einmal mehr das Restaurant sehen, sondern nur noch die rot-blauen Blinklichter, die von den umliegenden Häuserfassaden reflektiert wurden.
Das ganze Vorgehen – die weite Entfernung, der unmögliche Winkel, die Taten an sich, nicht nur einer, sondern zwei perfekte Treffer in einem überdurchschnittlich belebten Umfeld – zeugte von einer außerordentlichen Verwegenheit. Ich glaube, der Schütze wollte, dass wir beeindruckt waren, und das war ich auch – unter durch und durch professionellen Gesichtspunkten.
Aber gleichzeitig machte sich eine schleichende Furcht in meinen Eingeweiden breit. Diese Steinlawine, an die ich immer wieder gedacht hatte, war gerade eben über uns hereingebrochen.
8
Zu Hause angekommen schwang ich meine langen Beine über die zweite und dritte Stufe der Eingangstreppe hinweg, damit sie nicht quietschten. Es war kurz nach halb zwei Uhr morgens, aber in der Küche roch es immer noch nach Schokoladenkeksen. Sie waren für Jannie, für irgendeine Schulveranstaltung. Ich war zufrieden mit mir, weil ich immerhin wusste, dass sie eine Veranstaltung hatte, gab mir aber gleichzeitig etliche Punkte Abzug, weil ich nicht wusste, was es genau war.
Ich stibitzte mir einen Keks – ganz wunderbar, mit einem Hauch Zimt in der Schokolade – und zog die Schuhe aus, bevor ich mich nach oben schlich.
Als ich im Flur stand, sah ich, dass bei Ali immer noch Licht brannte, und als ich ins Zimmer schaute, stellte ich fest, dass Bree neben seinem Bett eingeschlafen war. Er hatte heute ein bisschen Fieber gehabt, und sie hatte den alten Ledersessel alias Wäscheständer aus unserem Schlafzimmer in sein Zimmer geschoben.
Ein Buch aus der Leihbibliothek, Die Maus und das Motorrad , lag aufgeschlagen auf ihrem Schoß.
Alis Stirn war zwar kühl, aber er hatte sich bloßgestrampelt. Sein Kuschelbär namens Truck lag kopfüber auf dem Fußboden. Ich deckte sie alle beide wieder zu.
Als ich Bree das Buch aus dem Schoß nehmen wollte, hielt sie es fest.
»Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute«, flüsterte ich ihr ins Ohr.
Sie lächelte, ohne aufzuwachen, als hätte ich mich in einen ihrer Träume eingeschlichen. Ich fühlte mich wohl dort, also schob ich meine Arme unter ihre Knie und Achseln und trug sie hinüber in unser Bett.
Liebend gerne hätte ich ihr die Schlafanzughose und das T-Shirt und, wo ich schon dabei war, auch noch alles andere ausgezogen, aber sie lag so wunderschön und friedlich da, dass ich es einfach nicht übers Herz brachte, irgendetwas zu verändern. Stattdessen legte ich mich neben sie und sah ihr eine ganze Weile beim Schlafen zu. Sehr schön.
Aber irgendwann ließ es sich nicht mehr vermeiden. Meine Gedanken wanderten zurück zu meinem Fall, zurück zu dem, was ich vorhin gesehen hatte.
Und damit ließen sich auch die Gedanken an jene düsteren Tage im Jahr 2002 nicht mehr wegschieben, als wir das letzte Mal etwas Vergleichbares mitgemacht hatten. Das Wort »Heckenschütze« ruft bei vielen Menschen in Washington, mir selbst eingeschlossen, nach wie vor sehr unangenehme Erinnerungen hervor. Aber gleichzeitig gab es in diesem Fall hier ein paar ziemlich furchterregende Unterschiede, beispielsweise die Fähigkeiten dieses Distanzschützen. Und es kam mir irgendwie kalkulierter vor. Aber dann, Gott sei Dank, schlief ich ein. Allerdings zählte ich Leichen und keine Schäfchen.
9
Die Washington Post lag bereits ausgebreitet vor Nana Mama auf dem Tisch, als ich um 5.30 Uhr die Treppe nach unten kam. Auf der ersten Seite, in der oberen Hälfte, war zu lesen: »Attentat in der Innenstadt. Heckenschütze ermordet zwei Menschen.«
Sie tippte
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