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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mehr. Die dumpfriechende, von undurchdringlicher, säuerlicher Finsternis erfüllte Stube versank und wurde weit, weit wie die Felder von Pommern.
    So kam der ehemalige Obergefreite Erich Wiedeck, dekoriert mit dem EK I, Silberner Nahkampfspange, Silbernem Verwundetenabzeichen, zwei Panzer-Abschußstreifen, kurz vor seiner Beförderung zum Unteroffizier, in das Strafbataillon 999:
    Der Wind stand leicht über den Feldern von Melchow .
    Es war gegen Mittag. Über die Feldwege ratterten einige Trecker. Kahlgeschorene Männer in alten, zerrissenen Lumpen saßen auf den hüpfenden Sitzen, einige Frauen und Mädchen in bunten Kopftüchern folgten den Spuren der großen Räder. Russische Landarbeiter, Bauern aus der Ukraine, aus dem Kaukasus, aus Weißrußland, aus den Feldern um Minsk und den Sonnenblumenäckern der Steppe von Saporoshje , eingefangen wie Wild, nachts aus den Betten geholt, in Viehwagen gepfercht und nach Deutschland gebracht, um die Ernte zu retten, die den Sieg bedeuten sollte.
    Wiedeck ließ die Ähren seines Roggens durch die Finger gleiten. Sie waren dick, prall gefüllt mit Körnern, schnittreif wie noch nie ein Korn in den letzten Jahren. Die Felder standen voll davon: achtzig Morgen unter dem Pflug. Roggen, Weizen, Hafer, Kartoffeln, Gerste, Zuckerrüben.
    Er sah hinüber zu den Treckern und den Russen, die lachend ins Dorf zogen. Sonnabend. Feierabend. Das Wetter war gut. Die Sonne stand und würde in den nächsten Tagen nicht weggehen.
    Sie schaffen es nicht, dachte er. Sie können es nicht schaffen. Die paar Russen, die Frauen, ein paar Trecker – die Ernte verkommt auf den Feldern, wenn sie nicht gleich geschnitten wird. Und dann dachte er daran, daß Erna, seine Frau, schwanger war, daß in knapp drei Wochen das Kind kommen mußte, daß sie einen schweren Leib hatte, sich kaum bücken konnte und unter der Sonne und der schweren Arbeit litt.
    Er sah über seine Felder, über das Meer der wogenden Ähren, und er rechnete im Geist die Stunden und Tage aus, die man brauchte, um es zu schneiden und vor Beginn des Regens einzufahren.
    Als er am frühen Nachmittag wieder nach Hause kam, stand Erna in der Tür und sah ihm entgegen.
    »Wo bleibst du nur?« fragte sie besorgt. »Dein Zug fährt in zwei Stunden.«
    »Ich habe mich umgesehen«, sagte er knapp. Er sah sie an: Ihr Leib war schwer.
    »Das Korn steht gut«, sagte sie, während sie die Schürze abband. »Komm, iß noch etwas. Einen Kuchen habe ich auch gebacken, zum Mitnehmen.«
    »Wer wird es schneiden?«
    »Was?«
    »Das Korn.«
    »Ich –.«
    »Du?«
    »Natürlich. Und drei Russen. Wenn sie bei Pilchows fertig sind, kommen sie zu uns. Sie bringen den großen Binder mit.«
    »Es wird zu spät sein.« Er sah gegen den Himmel. Die Sonne schien noch acht Tage! Wenn es regnen würde, verfaulte das Korn auf dem Feld.
    »Komm –!« Erna zog ihren Mann ins Haus. »Es geht eben nicht anders. Was wir einfahren können, tun wir. Das andere …«, sie schüttelte den Kopf. »Einmal ist dieser Krieg auch vorbei, und dann wirst du wieder besser sorgen können.«
    »Es ist eine Schande, daß es verfault«, sagte er starrköpfig. Er setzte sich in der Wohnküche an das Fenster und sah hinaus. Dann drehte er sich herum zu Erna, die am Herd stand und Kaffee aufgoß. Bohnenkaffee, abgespart von den seltenen Sonderrationen der Lebensmittelkarten für den Tag, an dem Erich auf Urlaub kam. Die ganze Küche duftete danach. Und auf dem Tisch stand ein dicker Rosinenkuchen. Sogar eine weiße Manschette hatte sie herumgebunden, so, als sei heute sein Geburtstag oder sonst ein Feiertag. Ein Feldblumenstrauß stand daneben – Blumen von seinen Wiesen.
    Er wandte sich ab und starrte wieder hinaus auf das Land.
    »Ich bleibe«, sagte er knurrend.
    »Was?« Erna sah ihn verständnislos an. Sie stellte die Kaffeekanne auf den Tisch und setzte sich. »Was hast du gesagt?«
    »Ich fahre nicht.«
    »So blieb ich«, erzählte Erich Wiedeck dem Freund, der Dunkelheit und sich selber, und vielleicht erzählte er es nur, weil es finster war und niemand seine feuchten Augen sehen konnte. »Ich habe ihr gesagt, daß mein Antrag auf Verlängerung des Urlaubs durchgekommen ist und daß ich so lange bleiben darf, bis ich die Ernte einbringe. Aber –«, sagte er, »– ich bin nicht nur deswegen geblieben, verstehst du? Der Arzt hatte gesagt, sie muß sich vor der Geburt schonen, aber wie sollte sie sich schonen, wenn ich weg war und wenn sie alles allein machen mußte? Und dann,

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