Strafzeit
bin ich diese Saison im Eisstadion, und dann wird neben mir mein Kollege erschossen.«
Mielke, dachte sich Hubertus, wer erschießt denn ausgerechnet Mielke? Und warum vor über sechstausend Zeugen?
Dann spürte er das schlechte Gewissen in sich aufsteigen.
»Haben Sie ihn im Auto mitgenommen?«, erkundigte er sich bei seinem Kollegen.
Ziegler nickte. »Ja. Er wohnt doch nur ein paar Straßen von mir entfernt.« Er hielt inne und blickte Hummel verzweifelt an. »Wohnte, meine ich.«
Hubertus schaute an sich herunter. Sein Mantel wies Glühweinflecken auf, ebenso sein Schal. Er betrachtete den Aufnäher, den er vor einigen Jahren gekauft und den Elke dort angebracht hatte. »Eishockeyfans sind faire Fans«, war darauf zu lesen.
Einer wohl nicht …
Etwa anderthalb Stunden später, kurz vor Mitternacht, liefen Hubertus und Klaus in ihrer Stammkneipe ein, dem Bistro im Zentrum der alten Zähringerstadt Villingen. Als Hubertus die schwere Holztür öffnete, kam ihm ein feuchter und rauchiger Luftschwall entgegen. Freitagabends war das Bistro immer brechend voll. Und als Luftabzug diente allenfalls das gelegentliche Öffnen der Tür.
»Mal wieder richtig gute Luft«, meinte Hubertus, hockte sich an den letzten freien Tisch und erschnorrte sich bei Bekannten eine blaue Gauloise. Eigentlich rauchte er nicht, aber in seiner Stammkneipe war das etwas anderes – zumal nach den Ereignissen des Abends.
Sein Blick wanderte zu Gisela, der unverwüstlichen Bedienung, die schon seit der Gründung der Kneipe hinterm Tresen stand. Dem entsprach auch die Sechzigerjahre-Einrichtung des Lokals: Raufaserwände, wacklige, tiefe Hocker mit olivgrünem, teilweise fleckigem Lederpolsterbezug und schäbige Granittische. An einem der Stehtische prangte ein kleines Schild. »Nicht auf den Boden spucken!« war darauf zu lesen.
Gisela hob nur den Kopf leicht an und nickte ihnen kaum merklich zu. Zwei Minuten später standen zwei frisch gezapfte Bier vor Klaus und Hubertus.
Kaum hatten sie den ersten Schluck getrunken, da schallte ein »Hallihallo« aus dem Hintergrund. Edelbert Burgbachers Auftritt. Ende vierzig, barocke Figur, kahl rasiertes Haupt, langer Armani-Mantel und obligatorischer Künstlerschal. Edelbert war nicht irgendein Gast im Bistro. Er war der Paradiesvogel in der hiesigen Kneipenszene und Kulturlandschaft. Mit seinen Inszenierungen im kleinen Theater an der Stadtmauer verzückte er immer wieder die kulturinteressierte Gemeinde. Und abends nach Proben- oder Vorstellungsschluss unterhielt der Impresario die Nachtschwärmer mit monologischen Wortschwällen, vorzugsweise im Bistro.
»Mord im Eisstadion«, begrüßte Klaus den Neuankömmling, der bereits von Gisela ein Viertel Trollinger vor die Nase gestellt bekommen hatte.
»Ist das ein Stück für die nächste Spielzeit in unserem Zähringer-Theater?«, fragte Edelbert und schlürfte genüsslich an seinem Glas.
»Nein, das ist die Umschreibung für das, was heute Abend bei den ›Wild Wings‹ passiert ist«, erläuterte Hubertus.
»Beim SERC«, murmelte Klaus.
»Ihr wollt mich wohl verarschen«, herrschte Burgbacher die beiden an und zog eine Schachtel Reval ohne Filter hervor. »Gisela, ich hab einen Mordshunger. Ein Hackfleischbrötchen, wenn ich bitten darf!« Edelberts tiefer und rauchiger Bass ließ alle aufhorchen, nicht nur auf der Bühne.
Klaus und Hubertus erzählten ihrem Freund, was vorgefallen war.
»Mord im Eisstadion? Das ist ja noch schlechter als die Boulevardkomödien, die sie im Stadttheater geben«, kommentierte Edelbert verächtlich.
Hummel schüttelte den Kopf. Als Künstler hatte Edelbert zu allem seine ganz spezielle Meinung.
»Schade um diesen Mielke«, schob Burgbacher gleich nach und nickte wissend. »Na ja, er war vielleicht etwas einfältig, aber ein wunderschöner Mann. Einfach traumhaft«, säuselte er und biss so kräftig in sein Brötchen, dass an der Seite Ketchup herausquoll.
Dann leckte er sich die Finger ab und seufzte kauend: »Ein wirklicher Recke. Lecker!« Tischmanieren gehörten nicht unbedingt zu seinen Stärken.
Ohnehin gab er nur wenig darauf, was andere über ihn dachten. Edelbert war bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Das galt auch für seine sexuelle Orientierung, mit der er nach Kräften kokettierte.
»Du kanntest Mielke?«, fragte Riesle interessiert.
»In dem Kaff kennt doch jeder jeden«, bestätigte Burgbacher.
»Genauer?«, pirschte sich Riesle vor.
»Nicht so genau, wie ich es gerne
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