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Straub, Peter

Straub, Peter

Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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Tisch hinweg sehe ich sie die Stirn runzeln und unvermittelt aufhören zu klopfen. Wie bei vielen Frauen, scheint ihr Gesicht nuancenreich und lebendig.
    Sie würde nichts von dem glauben, würde meine Versuche zu verstehen als › raunen ‹ abtun. »Wir sind auf so komische Weise verschieden «, schrieb sie mir. »Du klammerst Dich an eine Vorstellung von Wahrheit. «
     
    Ihre erste Frage an mich: »Bist du verheiratet? « »Ja «, antwo r tete ich. »Glücklich? «
    »Nicht mehr oder weniger als andere auch. « »Wirst du dich dennoch mit mir treffen? « »Ja «, antwortete ich.

2
     
    Ein Freudenfeuer in der Stadt im Mittelwesen, von der ich mich distanzieren sollte, und ich bin siebzehn. In meiner Sprechweise charakterisieren mich die stimmlosen Vokale und minutiös ansteigenden Modulationen am Ende von Sätzen eindeutig: sie sind wie Gepäckanhänger, die deutlich verr a ten, woher ich komme. In meine Sprechweise gekleidet – für mich reden die anderen mit Akzent, nur meine tonlose, leicht singende Stimme ist der Standard, von dem andere Stimmen abweichen –, habe ich, mit Unterbrechungen, eine Reise nach Osten unternommen. Im Augenblick ist sie noch nicht bee n det.
    Das Freudenfeuer besteht aus lodernden Holzkisten, Pap p kartons, gebrochenen Brettern und am Strand gefundenem Treibholz. Strandfeuer sind illegal, aber da wir alle › begütert ‹ sind, wie unsere Eltern uns beigebracht haben zu sagen – jeder bei dieser Party Anwesende besucht eine oder zwei Priva t schulen, die meisten wohnen in großen germanischen Villen am Seeufer –, und darüber hinaus die höfliche Arroganz vo r nehmer Zöglinge besitzen, haben wir keine nennenswerte Furcht vor der Polizei. Polizeistreifen fahren im Sommer stichprobenartig in wahllosen Nächten an den Privatstränden entlang, und sie haben schon häufig ähnliche Partys entdeckt. Sie konfiszieren den Alkohol und schreiben sich die Namen aller auf, deren sie habhaft werden können. Es ist der Geist einer Strafe, der unangenehme, komische Oberton von Strafe; verkniffene Gesichter, aberwitzige Fragen. Unsere Bierkästen und zwei Flaschen Wodka sind in der Nähe im Unterholz ve r borgen, am Fuß des Hangs, welcher vom Strand heraufführt. Ich bin mit zwei Flaschen Bier, meiner vierten und fünften in dieser Nacht, zu meiner Decke zurückgekehrt. Ein Junge singt »Michael, row the Boat ashore «.
    Auf der sandigen, karierten Decke vor dem Feuer öffne ich eine der Bierflaschen und lasse den kühlen, herben Geschmack meinen Mund erfüllen. Ich schlucke und spüre das kalte, schaumige Kribbeln in der Kehle.
    Weil sie in der Nähe des Feuers sitzt, ist das Gesicht des Mädchens unter ihrem langen, Colliefarbenen Haar orange. Ihr Gesicht ist, wie ich jetzt erkenne, auf eigentümliche und en t larvende Weise amerikanisch: Sie verfügt über eine breite, weiche Tiefe der Gesichtsflächen, gedehnte, konturlose Wa n gen unter deutlich gepolsterten Wangenknochen, jene unmis s verständliche , so vertrauenerweckende Weichheit, die man bei amerikanischen Mädchen in Piccadilly, St. Germain oder sonst wo sehen kann, wenn sie in Blue Jeans auf den Treppenstufen von Hotels sitzen oder zögernd Cafes betreten, weil sie nicht sicher sind, was alles kostet. Ich habe die Engländer nie ve r standen, die amerikanische Frauen › herb ‹ finden – das muss ein Streich ihres Gehörs sein, oder eine Fehlinterpretierung verschiedener Gesten. Ihr weiches, hübsches Gesicht, das u n ter dem Haar zu schweben scheint, ist gesenkt. Ich kenne dich. Ich kenne dich.
    Ich nehme die zweite Flasche, öffne sie und gehe ums Feuer herum an den anderen vorbei, die singen oder, in aufmerks a meren kleinen Gruppen, miteinander diskutieren, zu ihr hi n über und biete ihr das Bier an. Das Paar in unserer Nähe steht auf – sie sehen uns an – und verschwindet händchenhaltend in der Dunkelheit außerhalb des Feuerscheins. Sie schüttelt a b lehnend den Kopf und schaut mich nur einmal kurz an. Ich habe seit Wochen nicht mehr mit ihr gesprochen. Sie wird zu weinen anfangen, glaube ich; das wird sie. Ihre Augen öffnen sich und huschen übe r mein Gesicht, Vögeln gleich. Ich habe sie verletzt, sie möchte mir sagen, wie sehr.
    Eine solche Reinheit der Erfahrung! Wo findet man sie nach der Pubertät noch, diese Frei gie bigkeit der Gefühle? Es gibt da ein typisch männliches Gefühl, gleichgültiger Z u schauer des eigenen schuldbewussten Verrats zu sein; dies empfinde ich, als ich, töricht, das erste

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