Stumpfsaft - Bericht aus Bezirk 12 (Dystopische Kurzgeschichten) (German Edition)

und dieser unerträgliche Wind, verschärfte diese
Bemühungen noch. Dazu regnete es in dieser Gegend beinahe ohne Unterbrechung.
Der Regen war kalt und unangenehm, als bewegte man sich unter gewaltigen
Eiszapfen, deren Tropfen in stupider Regelmäßigkeit den Menschen in den Nacken
fielen und langsam den Körper hinunterliefen. Trotz dieser Widrigkeiten, war
die Freizone auf dem Dach immer gut besucht, denn dort konnte man atmen und das
Leben spüren. Deutliche Zeichen am Boden erinnerten uns Amputierte allerdings
immer an die Art von Leben, das wir führten. Falls es mal nicht regnete, konnte
man dort überall rötlich-gelbe Flecken sehen, die vom Stumpfsaft hervorgerufen
wurden. Jeder hatte Schwierigkeiten mit den entzündeten Druckstellen, und diese
Flecken waren die stummen Zeugen unserer Leiden. Der Regen verdünnte diese
Mischung aus Blut und Eiter jedoch bald wieder und spülte sie in die Abflüsse
des grauen Gebäudes. Ich wünschte mir, ich könnte die vergangenen Jahre auch
einfach den Abfluss runter spülen, aber dies wäre zu einfach. Ich war meinen
Pflichten nicht nachgekommen und musste nun die Rechnung für meine Verfehlungen
bezahlen. Fünf Jahre musste ich im MFA -Abteilung 5- ohne Beanstandung
durchstehen. Ein Jahr war schon rum und bisher waren alle mit meiner Arbeit
zufrieden. Vier Jahre fehlten also noch! Vier Jahre gute Führung, Gehorsam und
ordentliche Arbeit.
    Ich würde endlich meinen linken Arm zurück erhalten, den man
mir ohne Vorankündigung ebenfalls entfernt hatte. Nach der letzten Amputation
teilte man mir mit, dass dies nun so üblich sei. Mein Arm würde in steriler
Nährlösung aufbewahrt und nach 5 Jahren, ohne Vorfälle im MFA, wieder angenäht.
Die vollständige Wiederherstellung könne jedoch nicht garantiert werden. Ich
blieb positiv! Der Arm wird funktionieren!