Sturm ueber Cleybourne Castle
den unerwünschten Gästen beim Packen zu helfen, und Lord und Lady Vesey dann persönlich zur Kutsche begleiten.
Da Jessica ihren Auftrag somit zu aller Zufriedenheit erledigt hatte, machte auch sie sich auf den Weg zum oberen Stockwerk, in dem rechts und links neben der Schulstube die Schlafräume von ihr und Gabriela lagen. Als sie dabei an den Zimmern der Veseys vorüberging, hörte sie ein dumpfes Krachen und Splittern, begleitet von Leonas schriller, ärgerlicher Stimme, der Lord Veseys zwar leisere, aber nicht minder wütende folgte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, während sie auf Zehenspitzen weiterging.
Nach etwa einer halben Stunde verabschiedete sich der Arzt von dem Kranken, und kurze Zeit später verließen auch Lord und Lady Vesey das Haus. Humphrey, der langjährige Diener des Generals, wich für den Rest des Tages nicht von der Seite des Krankenbettes und ließ sich selbst während der Nacht nur für kurze Zeit von Jessica oder dem Butler vertreten.
In den folgenden Tagen schlief der General oft und lange, wachte nur hin und wieder auf, weil er hungrig war. Zunächst stärkte er sich nur mit einer Tasse Hühnerbrühe, später dann mit etwas Haferschleim, bis er schließlich Suppe mit etwas Handfestem darin, wie er sagte, verlangte. Mit jedem seiner Wünsche hob sich die Stimmung im Hause. Offensichtlich näherte sich der Kranke von Tag zu Tag seiner gewohnten Verfassung.
Jeden Morgen und jeden Abend besuchte Jessica mit ihrem Schützling den alten Herrn und konnte dabei die deutliche Verbesserung seines Zustandes beobachten. Nicht nur um Gabrielas willen war sie sehr glücklich über diese Fortschritte. Nachdem ihr Vater seinerzeit in Unehren aus der Armee entlassen worden war, hatten sich die meisten ihrer Freunde und Bekannten von ihr abgewandt, und selbst der Mann, der sie angeblich liebte, hatte ihr den Rücken gekehrt. Nur General Streathern tat nichts dergleichen. Er war sogar gekommen, um ihr nach dem Tod ihres Vaters sein Beileid auszusprechen, wozu sich nur wenige seiner ehemaligen Kameraden durchringen konnten.
Nach dem Ableben des Vaters war Jessica völlig mittellos zurückgeblieben. Da sie es ablehnte, Hilfe bei dessen Verwandten zu suchen, die nach dem öffentlichen Skandal sehr verärgert gewesen waren, hielt sie sich eine Zeit lang bei dem Bruder ihrer seit langem verstorbenen Mutter auf, doch die Situation in dessen Haus wurde ihr bald unerträglich. Der Onkel hatte fünf eigene Töchter, alle bereits im heiratsfähigen Alter und kurz vor der Einf ührung in die Gesellschaft. Eine weitere Rivalin war das Letzte, was sie gebraucht hatten. Zudem war es Jessica nicht gewöhnt, tatenlos herumzusitzen, anstatt sich im Haushalt nützlich zu machen oder ihn gar zu führen, und mit der Tante kam sie auch nicht recht aus. So packte sie also nach kurzer Zeit wieder ihre Sachen und nahm verschiedene Stellungen als Gesellschafterin oder als Gouvernante an. Aber im Allgemeinen hielt man sie für zu jung und zu attraktiv für eine solche Tätigkeit, die deshalb oft nur von kurzer Dauer war, insbesondere wenn noch ein männliches Mitglied des Hauses ihr unerwünschte Avancen machte.
Jessica sah eine ausgesprochene Ironie des Schicksals in der Tatsache, dass sie früher darunter gelitten hatte, als das Musterbild eines hässlichen jungen Entleins zu gelten, und nun auf einmal der Gegenstand von unliebsamen Aufmerksamkeiten oder gar Belästigungen seitens der Männer jeden Alters geworden war. Sie war sich bewusst, dass ihr spätes körperliches Erblühen damit zu tun haben musste. Es lag jedoch außerhalb ihrer Vorstellungswelt, dass die üppige Fülle ihres glänzenden, rot schimmernden Haares eine Verlockung für jeden Mann bedeutete oder dass sich ihre Gesichtszüge, die früher zu hart und streng waren, zu einem Ebenbild beeindruckender Schönheit gewandelt hatten. So versuchte sie, sich ihre unerwünschte Anziehungskraft damit zu erklären, dass sie nicht mehr unter dem Schutz ihres Vaters stand und damit eine leichte Beute zu sein schien. Die Männer glaubten offensichtlich, dass sie von ihrem Wohlwollen abhängig war, weil sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen musste.
Enttäuscht und verbittert hatte Jessica deshalb ihre Bemühungen um eine Tätigkeit als Gouvernante aufgegeben und versucht, sich das nötige Geld mit Handarbeiten zu beschaffen. Sie hatte einen guten Geschmack und geschickte Finger, und als sie ihren Stolz niedergekämpft und bescheiden um Aufträge gebeten
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