Sturm ueber Cleybourne Castle
Lapham nebenan gibt es einen Gasthof", sagte der General bissig. „Sollen sie dort Quartier nehmen, wenn sie die Unverschämtheit besitzen, hier zu bleiben. Aber ich lasse mich nicht von ihrem Gewimmer belästigen und erlaube ihnen auch nicht, meine Hausmädchen zu terrorisieren. Ich weiß, dass er jeden nur möglichen Versuch unternimmt, sie in dunkle Ecken zu drängen, während diese Dame wie ein Geier auf sie losgeht und bei jeder Gelegenheit ohrfeigt. Wenn man einem alten Mann, der auf der Schwelle des Todes gestanden hat, nicht seine Ruhe gönnt, dann weiß ich nicht, in was für einer Welt wir leben."
„Natürlich sollen Sie Ihre Ruhe haben", erwiderte der Arzt beschwichtigend und warf den Veseys einen eindringlichen Blick zu. „Mylord ..."
„Jaja, selbstverständlich." Lord Veseys Lächeln wirkte mehr wie die Grimasse eines Clowns. „Wir tun ja alles, damit der General sich wohl fühlt. Lady Vesey und ich werden umgehend aufbrechen." Er nahm Leonas Hand und verließ eilig den Raum. General Streathern wandte den Kopf zu Jessica. „Sorge dafür, dass sie auch wirklich gehen, Jessica."
„Selbstverständlich, Herr General", erwiderte sie lächelnd. „Mit dem größten Vergnügen." Sie sah sich ifn Zimmer um und fuhr dann fort: „Gabriela, Herr Pfarrer, sollten wir den General nicht mit dem Arzt allein lassen?"
Der Geistliche war offensichtlich nur zu gern bereit, das Zimmer zu verlassen. Vielleicht hoffte er, noch einen Blick auf Lady Vesey werfen zu können. Gabriela indes sprang munter neben Jessica die Treppe zur Halle hinab und begleitete jede Stufe mit einem unaufhörlichen fröhlichen Geplauder.
„Ach, Miss Jessica, ist es nicht wunderbar! Ich war schon fast sicher, dass der Großonkel sterben würde. Doch ich hätte wahrhaftig wissen müssen, dass er zäher und stärker ist als irgend so ein alter Schlaganfall."
Jessica nickte Gabriela freundlich zu. Mit ihren vierzehn Jahren versprach sie bereits, eine Schönheit zu werden. Obwohl ihr Körper noch schlank und knabenhaft war, verriet ihr geschmeidiger Gang eine sich langsam entfaltende Grazie. Ihre Haut war zart und frisch, ihr Gesicht lebhaft und wohlgeformt mit großen, leuchtend grauen Augen und einer lustigen Stupsnase.
Obwohl Jessica froh war, ihren Schützling so vergnügt zu sehen, konnte sie dennoch eine leichte Beunruhigung nicht unterdrücken. Im Augenblick mochte es scheinen, als wäre der General wieder ganz der Alte. Wahrscheinlich würde er fürs Erste auch seine frühere Kraft wieder erlangen. Doch im Gegensatz zu Gabriela war Jessica nicht entgangen, dass die linke Seite seines Gesichts sich nicht bewegt hatte, während er sprach, und auch seine linke Hand hatte sich nicht mehr richtig um Gabrielas Finger geschlossen. Da er tagelang bewusstlos gewesen war, musste man zumindest davon ausgehen, dass sein Schwächezustand noch länger anhalten würde. Hinzu kam, dass er hochbetagt war. Menschen dieses Alters waren besonders anfällig für Fieber und Erkältungen, zumal wenn sie bereits durch eine andere Krankheit entkräftet waren.
Deshalb machte sie sich große Sorgen um den alten Herrn, nicht nur, weil sie ihn sehr gern hatte, sondern auch weil sie durch diesen Zwischenfall gemerkt hatte, wie gefährdet Gabriela doch war. Eine minderjährige Waise wie das Mädchen konnte leicht in die Vormundschaft solcher Leute wie den Veseys geraten. Seit Gabrielas achtem Lebensjahr hatte Jessica für sie gesorgt, war ihre Gefährtin, Lehrerin und Vertraute gewesen, und sie liebte sie wie eine jüngere Schwester. Doch in den Augen der Welt war sie nichts anderes als eine bezahlte Angestellte, und jeder, dem nach General Streatherns Tod die Vormundschaft zugesprochen werden würde, konnte dieses Arbeitsverhältnis sofort und entschädigungslos beenden. Über diese Tatsache hatte sich Jessica bereits vor der Krankheit des Generals Gedanken gemacht.
In der Halle trennten sich die beiden, und Gabriela begab sich mit dem Versprechen, ihre seit Tagen vernachlässigten Hausaufgaben jetzt schnellstens zu erledigen, in ihr Zimmer. Jessica aber ging in die Küche, um Pierson, den Butler, von der wundersamen Genesung des Generals und seiner Anweisung zu informieren, die Veseys auszuquartieren. Sie wusste, dass keine andere Nachricht den Alten glücklicher machen konnte.
Wie erwartet, strahlten Piersons Augen voller Freude bei der guten Botschaft, und er versicherte eifrig, er werde umgehend zwei Dienstmädchen - nicht nur eines -hinaufschicken, um
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