Sturm ueber Thedra
der sie zwar alles in sich aufnehmen ließ, sie aber gleichzeitig um die ursprüngliche Freude des Erlebens betrog.
Seit Tigan war aus Teri eine ernste junge Frau geworden, die nur selten lachte. Zu tief war die Trauer um Tana und Gerit, zu ungewiß das Schicksal der beiden.
Immer wieder drängte sich das Bild der zwei Verletzten in Teris Gedanken. Tana und Gerit, wie sie sich gegenseitig stützend, dem sicheren Tod im Großen Erf entgegenwankten.
Wie konnte Teri sich an Sonne, Luft und Licht, wie sich an Pflanzen und Tieren freuen, wenn sich täglich solch trübe Gedanken über ihr Gemüt legten?
So verbrachte sie ihre Zeit in Ago bei der Familie des Kapitäns in stiller Melancholie, die allen Aufheiterungsversuchen widerstand. Man brachte ihr die Grundbegriffe der Ago- oder Löwensprache bei, und willig half sie der Frau des Kapitäns bei ihren täglichen Verrichtungen. Damit waren ihre Tage in Ago ausgefüllt.
Endlich war es wieder so weit. Die `Sesiol' war im Hafen überholt worden und wieder bereit, auf große Fahrt zu gehen. Ein Jahr oder länger würde die Reise dauern und entsprechend lange mußte der Abschied gefeiert werden.
Die Angehörigen der ganzen Mannschaft trafen sich im Haus des Kapitäns und feierte drei Tage lang. Jede Familie hatte die ihr eigene Spezialität an eß- und trinkbaren Köstlichkeiten mitgebracht, und Teri mußte von allem probieren.
Schließlich kamen noch alle Nachbarn dazu, und am dritten Tag war das ganze Stadtviertel auf den Beinen, um der `Sesiol' den Abschiedsgruß nachzurufen. In einem wahren Triumphzug wurde die Mannschaft zum Hafen geleitet, wo ein Umarmen ohne Ende einsetzte. Auch Teri wurde von über hundert Leuten, vorwiegend jungen Männern, derartig durchgeknuddelt, dass es ihr glatt den Atem nahm.
Schließlich stach die `Sesiol' unter den Hochrufen der Menge in See, und bald schon bestimmte das ewige Gleichmaß des Meeres wieder den Tagesablauf.
Je näher die `Sesiol' Kap Tigan kam, umso unruhiger wurde Teri. Als sie schließlich die Landspitze umrundeten und die Konturen der Stadt an Steuerbord in weiter Ferne schwach zu erkennen waren, lief sie nervös auf dem Schiff herum und war für nichts mehr zu gebrauchen.
Fast ein Jahr war vergangen, seit sie Tana und Gerit zum letzten Mal gesehen hatte und doch kletterte Teri jedes Mal, wenn die `Sesiol' der rotbraunen Küste näher kam, in den Mast hinauf, um Ausschau zu halten. Aber nicht die Klippen und Riffe auf dem Kurs des Schiffes wollte sie erkunden. Stundenlang stand sie neben dem Matrosen auf der winzigen Plattform und schaute weit in das Große Erf hinein.
Tagelang zog die Sesiol ruhig ihre Bahn entlang der Südlichen Wüste. Mehr als einmal glaubte Teri, weit im Inneren des unendlichen Steinmeeres Bewegungen zu erkennen, aber nie konnten die Matrosen, die gerade Dienst als Ausguck hatten, ihre Beobachtungen bestätigen, und als vierzig Tage nach dem Passieren von Kap Tigan die Küste wieder grün und das Land wieder fruchtbar wurde, gab Teri es auf.
Nun war auch die Letzte Hoffnung in ihr erloschen, Tana und Gerit je wiederzusehen, es sei denn ...
Ärgerlich drängte sie die Gedanken, die ihr die Möglichkeit einer Rettung vorgaukeln wollten, beiseite. Sie hatte sich damit abzufinden, dass sie allein auf der Welt war. Sie würde ihr Leben bald selbst in die Hand nehmen müssen. Ein vager Gedanke an Thedra, an die Fliegenden Schiffe, tauchte in ihr auf. Aber selbst die Aussicht, eventuell ein Leben als Scharfrau zu führen, erschien ihr seltsam farblos. - Bis die `Amethyst' kam.
Oft schon hatte Teri auf ihrer Reise fliegende Schiffe an den `Schwalbenstangen' der Häfen liegen sehen. Lang und flach, mit dem weit nach hinten geneigten einzigen Mast, hatten sie das immer gleiche, typische Erscheinungsbild geboten, das jeder Seemann des Kontinents kannte.
Näher als zweihundert Schritte war sie jedoch nie an die Schiffe herangekommen. Auch als Thedranerin stand ihr das Recht, sich die Fliegenden Schiffe genauer anzuschauen nicht zu. Man mußte schon zur Sturmflottenschar gehören, um sich nähern zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, mit Peitschenhieben verjagt, getötet, oder als Sklave genommen zu werden.
Teri hatte die Frauen und Männer der Besatzungen stets beneidet. Was für ein Gefühl mußte es sein, auf den schnellsten Schiffen der Welt die auserlesensten Frachten in die fernsten Länder zu bringen.
Zweimal hatte es auch Begegnungen auf hoher See gegeben, obwohl das Wort `Begegnung' eigentlich
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