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Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten

Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten

Titel: Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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Es passierte immer wieder, daß auf einmal einer den Kopf hob … und es sah. Das ist etwas, was schwer zu begreifen ist. Ich meine … Wir waren mehr als tausend auf diesem Schiff: steinreiche Leute auf Reisen, Auswanderer, Sonderlinge und wir … Trotzdem gab es jedesmal einen, nur einen einzigen, einen, der … es als erster sah. Vielleicht aß er gerade was, oder er ging einfach so spazieren da auf dem Deck … vielleicht zog er gerade seine Hose zurecht … er hob kurz den Kopf, warf einen Blick auf das Meer … und da sah er es. Er blieb wie angewurzelt stehen, da, wo er gerade stand, sein Herz schlug zum Zerspringen, und jedesmal, jedes verfluchte Mal, wirklich jedesmal drehte er sich zu uns um, zum Schiff, zu allen, und schrie ( leise und langsam ): Amerika. Dann verharrte er reglos, als sollte er in eine Photographie eingehen, und mit einem Gesicht, als hätte er selbst es gemacht – Amerika. Abends nach der Arbeit und sonntags hatte er sich von seinem Schwager, einem Maurer, helfen lassen, einem tüchtigen Kerl … zuerst schwebte ihm was aus Sperrholz vor, dann … kam er richtig in Fahrt, und er machte Amerika.
    Der Amerika als erster sieht. Auf jedem Schiff gibt es einen. Und man sollte nicht glauben, daß so was zufällig passiert, nein … es ist auch keine Frage der Dioptrien, nein, das ist Schicksal. Das sind Leute, die diesen Augenblick schon immer in ihr Leben eingraviert mit sich herumtrugen. Und als sie Kinder waren, konntest du ihnen in die Augen sehen, und wenn du gut hinsahst, hast du es schon erkannt – Amerika, schon auf dem Sprung, um über Nerven und Blut und was weiß ich alles bis hin zum Gehirn zu gleiten und von dort aus zur Zunge bis in diesen Schrei hinein ( schreit ), AMERIKA, es war längst da, in diesen Kinderaugen, das ganze Amerika.
    Es wartete schon.
    Das habe ich von Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento gelernt, dem größten Pianisten, der je auf dem Ozean gespielt hat. Man sieht in den Augen der Menschen das, was sie sehen werden, und nicht das, was sie gesehen haben. Das waren seine Worte: Das, was sie sehen werden.
    Ich habe so manche gesehen – so manche Amerikas … Sechs Jahre auf diesem Schiff, fünf, sechs Fahrten pro Jahr, von Europa nach Amerika und zurück, ständig auf dem Ozean schaukelnd, wenn du an Land gingst, konntest du nicht mal gerade ins Klo pinkeln. Es stand still, aber du, du schwanktest immer noch. Denn man kann zwar von Bord eines Schiffes gehen, aber vom Meer … Als ich es bestieg, war ich siebzehn. Und das einzige im Leben, was mich vom Hocker reißen konnte, war: Trompete spielen. Als es sich also herumsprach, daß sie unten am Hafen Leute für den Dampfer suchten, für die Virginian , stellte ich mich mit in die Schlange. Ich und die Trompete. Januar 1927. Musiker haben wir schon, meinte der Typ von der Schiffahrtsgesellschaft. Ich weiß, und ich spielte los. Er stand da und starrte mich an, ohne ein Glied zu rühren. Er wartete, bis ich fertig war, ohne ein Wort zu sagen. Dann fragte er:
    »Was war das?«
    »Ich weiß nicht.«
    Sein Gesicht hellte sich auf.
    »Wenn du nicht weißt, was es ist, dann ist es Jazz.«
    Er veranstaltete was Komisches mit seinem Mund, vielleicht war es ein Lächeln, er hatte einen Goldzahn genau in der Mitte, so daß es aussah, als habe er ihn zum Verkauf ins Schaufenster gestellt.
    »Die sind ganz verrückt nach dieser Musik da oben.«
    Da oben hieß auf dem Schiff. Und diese Art Lächeln hieß, daß ich angenommen war.
    Wir spielten drei-, viermal am Tag. Zuerst für die Reichen in der Luxusklasse und dann für die aus der zweiten Klasse, und manchmal gingen wir zu den armen Schlukkern von Auswanderern und spielten für sie, aber ohne die Uniform, so wie es gerade kam, und manchmal spielten auch sie, zusammen mit uns. Wir spielten, weil der Ozean groß ist und angst macht, wir spielten, damit die Leute nicht merkten, wie die Zeit verging, und damit sie vergaßen, wo sie waren und wer sie waren. Wir spielten, damit sie tanzten, denn wenn du tanzt, kannst du nicht sterben, und du fühlst dich göttlich. Und wir spielten Ragtime, denn das ist die Musik, nach der Gott tanzt, wenn es niemand sieht. Nach der Gott tanzen würde, wenn er ein Schwarzer wäre. 
     
    (Der Schauspieler geht ab. Ein übermütiger und ausgesprochen verrückter Dixieland spielt los. Der Schauspieler kommt in der eleganten Kleidung eines Jazzman auf einem Dampfschiff zurück auf die Bühne. Von nun an benimmt er sich, als stünde die Band

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