Der Wolfsmann
Horst Hoffmann
DER WOLFSMANN
Caer! Der Anblick war ein Schock. Er ließ den Atem der Gefährten stocken. Caer in Lockwergen! In der Stadt ohne Leben!
Noch hatten sie sie nicht gesehen. Mythor griff nach Kalathees Arm und zog sie schnell mit sich in den Schatten eines Hauseingangs.
Nottr und Steinmann Sadagar hatten sich mit dem Rücken an die grauen Backsteine gepresst und folgten ihnen lautlos.
»Wir hätten einen Bogen um die Stadt machen sollen«, knurrte Nottr. Der Barbar aus den Wildländern schob den Kopf so weit vor, dass er die drei aus der Seitenstraße gekommenen Krieger gerade noch sehen konnte. »Wir hätten es wissen müssen. Erst haben sie die Stadt entseelt, und nun sind sie hier, um sie für sich in Besitz zu nehmen. Lass uns verschwinden, Mythor! Gegen eine Caer-Armee sind wir machtlos.«
Mythor schwieg. Er dachte an die finsteren Vorahnungen auf dem Weg hierher. Er hatte gespürt, dass irgend etwas auf ihn zukommen würde, so, wie er vor der Ankunft in Lockwergen gespürt hatte, dass sie etwas Schreckliches, nicht Greifbares in der Hauptstadt Yortomens erwartete.
Was immer auch während ihrer Abwesenheit in Lockwergen geschehen war, er konnte sich nicht vorstellen, dass lediglich eine Caer-Armee erschienen war, um die wehrlose Stadt zu besetzen. Es musste mehr dahinterstecken.
Wo Schiffe der Caer landeten, war zumeist auch einer ihrer Priester in der Nähe.
Sie befanden sich in den nördlichen Außenbezirken der Hafenstadt. Am Hafen und im Zentrum mochte es von Caer wimmeln.
Kalathee schmiegte sich schutzsuchend an Mythor. Sadagar hatte die Hände am Gürtel, in dem die Messer steckten. Der Steinmann blickte Mythor fragend an. Auch ihm war anzusehen, dass sich alles in ihm dagegen sträubte, sich noch einmal in der verlassenen Stadt umzusehen.
»Der Weg zu Althars Wolkenhorst führt nicht durch Lockwergen, Mythor«, erinnerte er den Freund.
»Drudins Magie«, sagte Mythor wie zu sich selbst. »Es wäre gut zu wissen, was hier vorgeht.«
»Du meinst, dass die Caer in Drudins Auftrag hier sind?« fragte Nottr leise.
Die drei Krieger kamen langsam, einen Blick in jedes verlassene Haus werfend, die Straße herauf, die vom Stadtrand schnurgerade zum großen Marktplatz führte. Offensichtlich hatten sie den Auftrag, jeden Winkel der Stadt abzusuchen.
»Dass der Oberschurke vielleicht selbst in Lockwergen steckt?« In Nottrs Blick wechselte Angst mit Unternehmungslust. Drudin! Überall begegneten sie diesem Namen. Drudin war der höchste Priester in Caer, der Schlachtenlenker aus dem Hintergrund, der Statthalter der finsteren Mächte aus der Dunkelzone in der Welt des Lichts.
Mythor schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, Nottr. Es würde nicht zu ihm passen. Aber es war zu erwarten, dass früher oder später Caer hier auftauchen würden, um sich von dem zu überzeugen, was sie mit ihrer magischen Waffe erreicht haben. Vielleicht war die Entseelung der Stadt nur das Vorspiel zu etwas anderem.«
Mythor spähte über Nottrs Kopf hinweg vorsichtig auf die Straße hinaus. Die Krieger waren nur noch einige Häuser entfernt und kamen näher. Immer verschwand einer von ihnen für einige Minuten in einem der verlassenen Gebäude, während die anderen die Straße im Auge behielten.
»Wir müssen wissen, was hier geschieht.«
Sadagar seufzte. Nottr fluchte unterdrückt.
»Bitte nicht, Mythor«, flehte Kalathee. »Lass uns fliehen, solange noch Zeit ist!«
»Wir haben die Zeit nicht mehr«, antwortete der dunkelhaarige junge Mann scheinbar ruhig. »Wir können nicht mehr auf die Straße, ohne von ihnen gesehen zu werden. Und gleich sind sie hier.«
»Ich könnte.«, begann Nottr, doch Mythor winkte ab. Immer noch litt der Lorvaner unter seinem schändlichen Verrat an den Gefährten. Er würde sich für sie opfern, um wiedergutzumachen, was er getan hatte - vielleicht auch, um Kalathee endgültig vergessen zu können.
»Hör auf damit, Nottr«, flüsterte Mythor. »Niemandem wäre damit gedient, wenn wir dich verlören. Vergiss endlich, was in
den Bergen geschah.« Er bedeutete den Freunden zu schweigen.
Das nächste Haus. Die Caer kamen weiter heran. Ihre Schritte waren das einzige Geräusch in der Geisterstadt. Keine Stimmen, keine Rufe. Die anderen Caer-Trupps mussten weit weg sein. Die Gefährten wären ihnen ahnungslos in die Arme gelaufen, hätten sie die drei Krieger nicht rechtzeitig gesehen, die ebensowenig wie sie in die Stadt passten. Alles, was lebte, war ein Fremdkörper in
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