Sturm ueber Thedra
Selig lächelnd schlief sie ein.
In der Hafeneinfahrt von Isco hatte die `Sesiol' eine Havarie mit einem Erzfrachter aus Cebor. Tief bohrte sich der starke Bug des Löwenboots in die Flanke des gedrungenen Schiffes, das mit der Ebbeströmung quer aus dem Hafen getrieben kam.
Die Kapitäne fluchten und schrien in allen Sprachen des Kontinents und gaben sich gegenseitig die Schuld, aber das zersplitterte Holz der gebrochenen Planken und Spanten ließ sich davon nicht beeindrucken. Die `Sesiol' mußte repariert werden.
Teri kam der Zwangsaufenthalt äußerst ungelegen. Jetzt war es schon Herbst, und die Fahrt nach Thedra würde mindestens noch dreißig Tage dauern. Je mehr die Jahreszeit vorrückte, desto eher war mit den stürmischen Nordwinden zu rechnen, die die Schiffe wohl mit Leichtigkeit von Thedra fort, aber nicht gern dorthin trugen.
Je länger die `Sesiol' hier im Hafen verweilte, umso häufiger würde sie später gegen den Wind kreuzen müssen. - Die Zeit wurde für Teri immer knapper.
Bei aller innerer Unruhe war Teri jetzt doch wieder in der Lage, ihr Leben zu genießen. Zwar drängte sich noch manchmal die Erinnerung an die Unglückstage in Tigan in ihre Gedanken, doch es war mittlerweile schon über ein Jahr vergangen, eine lange Zeit in einem jungen Leben.
Teri hatte Elefanten bei der Arbeit beobachtet und den ewigen Sommer erlebt. Sie hatte in Ago im Haus des Kapitäns von dessen Familie die Löwensprache gelernt und hatte die `Amethyst' in voller Fahrt gesehen. Teri war wieder neugierig auf das Leben, auf die Welt, auf alles.
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Reparatur der `Sesiol' mindestens fünfzehn Tage in Anspruch nehmen würde, nahm sie sich vor, endlich die Stadt zu besichtigen, die sich bei ihrem ersten Aufenthalt von einer so schlechten, ja grausamen Seite gezeigt hatte.
Isco war der Ort, an dem Teri den Tod gesehen hatte. Der blutige Schrei des sterbenden Pilgers war wie ein böses Omen gewesen, das Teri auf der ganzen weiteren Reise begleitet hatte. - Vielleicht würde Isco ihr in einem freundlicheren Licht erscheinen, wenn sie es sich einmal genauer ansah.
Nachdenklich ging Teri über den Hafenplatz der Kaiserstadt und dachte an ihren ersten Aufenthalt zurück. Fast meinte sie, durch all die Geräusche der geschäftigen Handwerker und Händler noch jenes bedrohliche Summen in der Luft zu hören, das die Menge der Pilger auf dem Tempelvorplatz damals verursacht hatte.
Hier, bei dem Gasthaus, war damals ein Mann von einem Speer durchbohrt worden. - Dort, bei den sieben Stufen, hatte ein Harmuged-Pilger einen Schwertstreich quer über den Rücken erhalten. Unwillkürlich suchten Teris Augen das grobe Hafenpflaster nach Spuren jenes schrecklichen Kampfes ab, aber natürlich war nichts zu sehen.
Teri entdeckte in einem Winkel einen kleinen blauen Fleck, eine winzige Blume, die, zwischen zwei Steinen, geschützt in der Sonne stand. Sie beugte sich herab und legte ihre Hand an den kleinen leuchtendfarbigen Kelch, der einsam aus dem grauen Pflaster emporspross. Sofort spürte sie die sanfte Unruhe, die allen Pflanzen zu eigen ist. - Dieses wachsen wollen, sich ausbreiten müssen. Teri empfand die Berührung als angenehm, ja tröstlich.
Genau an dieser Stelle war vor fast zwei Jahren der Pilger mit der Schwertwunde gestürzt. Vielleicht war es sein Blut gewesen, das das winzige Samenkorn in der Pflasterfuge zum Leben erweckt hatte. Vielleicht hatten die Götter nur ein Leben gegen ein anderes ausgetauscht. Vielleicht lebte noch etwas von dem Mann in dieser Blume weiter.
Teri fühlte sich beobachtet. Sie richtete sich auf und schaute sich um.
Einige Schritte entfernt stand eine skurrile Gestalt, die sie mit schief gelegtem Kopf beäugte. So jemanden hatte Teri noch nie gesehen: Kurze stämmige Beine trugen einen fassförmigen, gedrungenen Leib, von dem die kurzen Arme fast seitlich abstanden. Der viel zu große Kopf saß nicht eigentlich auf, sondern vielmehr vor dem Körper, als wüchse er direkt aus der Brust. Die ganze Gestalt war knapp eine halbe Mannshöhe groß, und das Gesicht war so schmutzig und ungepflegt, dass Teri unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
"Kannst du das auch?" Der Fremde schien sich an Teris Abscheu nicht zu stören. "Kannst du?"
"Was - meinst du?"
"Kannst du die Blumen verstehen?" Der Fremde kam mit schweren Schritten näher. "Die Bäume und Sträucher? Die Tiere und Steine? Die Dinge, die man tot nennt? - Kannst du die Blumen
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