Sturmrappe — Der Außenseiter (German Edition)
macht sich auf den Weg zu Chris. Chris wird noch nicht von der Arbeit zurück sein, doch Dan weiß, wo der Schlüssel versteckt ist, und er weiß auch, dass er dort Kleidung zum Wechseln deponiert hat. Es ist nicht das erste Mal, dass Dan sich vor Karl und Molly verstecken möchte, doch es ist das erste Mal, dass er dabei so wütend ist.
Als Dan bei Chris‘ Haus ankommt, ist es schon Nachmittag. Er kramt im Kühlschrank und nimmt ein Stück Pizza und ein Bier mit unter die Dusche. Na gut, die Pizza bleibt auf dem Waschtisch – aber das Bier kommt mit rein. Einer der größten Vorteile dieses Hauses ist das Fenster in der Badewannenabtrennung mit seinem breiten Sims – genau der richtige Platz für sein Getränk.
Das Duschen beruhigt Dan ein wenig und danach ruft er Chris im Büro an. Chris arbeitet als aufstrebender junger Anwalt für die größte Kanzlei von Louisville. So viel Dan davon versteht, müsste Chris sich eigentlich Tag und Nacht abrackern, aber irgendwie scheint er trotzdem immer mehr als bereit für einen frühen Feierabend zu sein. Heute ist keine Ausnahme und er willigt ein, sich in einer halben Stunde mit Dan im JP’s zu treffen. Dan wünschte, er könnte es sich leisten, woanders hinzugehen, doch er arbeitet mehrere Schichten in der Woche als Barkeeper im JP’s, was ihm normalerweise einen beträchtlichen Preisnachlass verschafft, wenn er in seiner Freizeit hingeht. Chris könnte sich wahrscheinlich jedes Restaurant der Stadt leisten, aber er weiß genug über Dans finanzielle Lage, um keines davon vorzuschlagen – und genug über Dans Stolz, um nicht anzubieten, für sie beide zu zahlen.
Also bleibt es beim JP’s. Dan holt sich Jeans und ein schwarzes T-Shirt aus der Reisetasche in Chris‘ Schrank und denkt darüber nach, was für ein Glück es ist, dass Freizeitkleidung dort wo sie hingehen kein Problem ist. Kentucky mag zwar nicht der tiefste Süden sein, doch es liegt weit genug unten, dass die Menschen dort Wert darauf legen, dem Anlass entsprechend gekleidet zu sein. Und Dan wird für eine Bar in der Nachbarschaft gekleidet sein und nicht für ein schickes Restaurant. Ein kurzer Blick in den Badezimmerspiegel bestätigt ihm, dass er wie immer eine Rasur vertragen könnte. Er hat helle Haut und grüne Augen, und sein Haar ist dunkelbraun, was mit Bartstoppeln dazu führt, dass seine Augen auffallen – geradezu leuchten. Früher dachte er immer, ein Bart ließe ihn älter wirken, weniger verletzlich, doch mittlerweile ist ihm klar, dass bei ihm das Gegenteil der Fall ist. Trotzdem kann er sich nicht dazu durchringen, sich zu rasieren. Schließlich trifft er sich nur mit Chris.
Er wirft seine Reitkleidung in Chris‘ Waschmaschine und hofft, er wird später daran denken, sie herauszunehmen und in den Trockner zu stecken. Es ist bereits beschlossene Sache, dass er in Chris‘ Gästezimmer übernachten wird. Schließlich hat er vor, soviel zu trinken, dass Fahren keine gute Idee mehr wäre, und eine Taxifahrt hinaus zum Stall würde ihn das Gehalt einer ganzen Woche kosten. Nicht, dass er für die meisten Wochen überhaupt bezahlt wird, erinnert er sich dann. Doch die Wut ist verflogen und was zurückbleibt, ist hauptsächlich ein Gefühl der Verwirrung. Er weiß, dass Molly und Karl es im Moment schwer haben, aber stehen die Dinge wirklich so schlecht, um sie ihren Ruf oder sogar das Leben eines Kindes riskieren zu lassen?
Er beschließt, zu Fuß zur Bar zu gehen. Sie ist nicht weit weg und es ist ein schöner Nachmittag. Außerdem macht es für den nächsten Tag alles einfacher, wenn sein Wagen schon bei Chris‘ Haus steht. Als er die Bar erreicht, hat Chris gerade eingeparkt und erwartet seinen Freund an der Tür. Chris fährt seinen nagelneuen Pick-up und Dan unterdrückt einen kurzen Anflug von Neid. Eine weitere Sache, die Dans Berufswahl ihm nicht finanzieren kann.
Chris nickt ihm beim Aussteigen zu. „Hi, Danielle.“
„Christine, da bist du ja.“
Chris grinst. „Ich nenne dich seit fünf Jahren Danielle und dir fällt jetzt erst auf, dass ich auch einen Mädchennamen habe?“
Dan zuckt lässig die Schultern. „Ich habe auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Und dieser hier… hat sich einfach richtig angefühlt.“
Chris nickt. „Gut, dann kannst du ja zur Feier des Tages die erste Runde ausgeben.“
Sie betreten die Bar und Dan winkt dem Barkeeper und der Kellnerin zu. Chris ist so oft hier, dass er die Angestellten fast genauso gut kennt wie Dan. Weiter hinten
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