Feuerherz
Kapitel 1
»ELISABETH!«, kreischte meine Stiefmutter von unten. Ich setzte meine Kopfhörer ab und lauschte.
»Wir müssen los, sonst komme ich zu spät!« Carmen, meine Stiefmutter, war vor ungefähr zwei Jahren bei uns eingezogen. Unmittelbar nach dem Tod meiner Mutter. Der Verdacht, dass Papa schon lange davor eine Affäre mit ihr gehabt hatte, lag da natürlich nah.
Ich sah noch einmal prüfend in den Spiegel. Meine blaue Chinohose saß etwas knapp auf meinen Hüften, aber scheiß drauf … ich war kein Hungerhaken und das war auch gut so. Ich trug meine Kleidergröße 40 mit Stolz und warum auch nicht? Bei mir war jedes Gramm an der richtigen Stelle. Ich hatte einen runden, weiblichen Hintern, eine sehr ansehnliche Oberweite und lange, fransige blonde Haare. Wen störten dann schon die kleinen Rettungsringe um den Bauch? Bauchfrei war seit den Neunzigern sowieso out.
Ich schlüpfte in meine gelben Ballerinas und ordnete die farblich dazu passende Bluse. Den Pony aus dem Gesicht pustend griff ich nach meinem Rucksack … Wo war denn nur …?
»CARMEN? WO IST MEIN MATHEBUCH?!«
»WAS WEISS ICH?«, antwortete das Stiefmonster. Grrr! Sicherlich hatte ich es gestern bei Leon vergessen. Wer Leon ist? Leon ist der männliche Part unserer Clique, bestehend aus meiner besten Freundin Conny, meiner Sandkastenfreundin Mischa, meiner Wenigkeit und Leon. Der arme Kerl wurde mitten in die Titanic-Generation hineingeboren, in der alle Frauen unbedingt einen »Leo« haben wollten, Leonardo (DiCaprio) aber zu tuntig klang, und man sich deswegen auf Leon geeinigt hat (sofern der Vater ein Mitspracherecht hatte, was in Leons Familie Gott sei Dank der Fall gewesen war). Wir Mädels nannten ihn immer liebevoll ›unseren Welpen‹, da er eine Klasse übersprungen hatte und somit der Jüngste war. Er war gerade sechszehn geworden, während wir anderen dieses Jahr siebzehn wurden. Auf seiner Geburtstagsfeier letztes Wochenende waren wir beide so betrunken gewesen, dass wir in der Kiste gelandet sind. Dabei war er eigentlich gar nicht mein Typ … Aber so war das eben, wenn man das erste Mal legal Bier trinken durfte. Er hatte ordentlich einen im Tee gehabt und ich war auch nicht viel besser gewesen. Versteht mich nicht falsch, ich bin keine Säuferin, aber nach einigen Kölsch-Colas bis zum Verlust der Muttersprache hatte der liebe Leon allzu verführerisch ausgesehen. Hey, es war sein sechzehnter Geburtstag! Höchste Zeit, ihn für die Damenwelt warm zu machen …
Leon war übrigens ungefähr fünf Zentimeter größer als ich, schwarzhaarig, noch von den Nachwirkungen der Pubertät her mit Pickeln gestraft und im Grunde genommen schlank. Mit »im Grunde genommen« meine ich, dass er ein kleines Bäuchlein vom Chipstütenstemmen hatte. Nicht weiter störend … mit der richtigen Dosis Liebeshormone könnte frau das sogar süß und kuschelig finden. Dass er klug ist, muss ich wohl nicht erwähnen? Er will mal Arzt werden. Wenigstens hat einer von uns einen Plan …
»ELISABETH!«, hallte es erneut von unten.
»Das heißt Lissy«, korrigierte ich sie knurrend und sah noch einmal in den Spiegel. Mein Make-up saß. Das musste es heute auch, denn ich hatte Spanisch und das bedeutete: Ilian.
Ilian Balaur. Schon der Name jagte mir einen Schauer durch den Körper. Leider Gottes gehörte Ilian einer anderen Clique an. Einer Clique, die mit meiner herzlich wenig gemein hatte. Ja, man könnte sogar sagen, dass wir uns gegenseitig nicht riechen konnten. Wobei man das nicht zu wörtlich nehmen sollte, denn jede Spanischstunde badete ich regelrecht im Rasierwasser dieses jungen Gottes. Ähnlich wie bei den anderen seiner Clique war an ihm einfach immer alles perfekt. Haare, Kleidung, … ja, sogar seine Fingernägel! Sauber, ordentlich gekürzt … einfach perfekt, und so nannten wir ihn und seine Clique unter uns auch immer »die Perfekten«. Gute Noten, gutes Aussehen … Ihnen würde mal die ganze Welt offen stehen. Also, es war ja jetzt nicht so, dass meine Freunde und ich Gesichtselfmeter waren, aber perfekt waren wir eben auch nicht. Mischa war sehr klein, ich war rund, Conny hingegen eine Bohnenstange und ein Schneewittchen (kein Arsch, kein Tittchen!) und unser Leo war pickelig. Normal eben. Ilian hingegen … hochgewachsen, sportlich, schlank, mit braunen kurzen Haaren, die die perfekte Länge hatten, um seine Hände darin zu versenken, für einen Mann unglaublich tolle, volle Lippen, die man am liebsten anknabbern wollte, aber
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