Sturmzeit
nach deinem Verständnis immer, daß du etwas bestimmst und die übrigen Menschen sich fügen.«
Laetitia gab um nichts nach. »Ach, so siehst du das! Dabei hätte ich fast gedacht, es sei auch in deinem Interesse, wenn wir dieses... Mißgeschick von damals möglichst stillschweigend übergehen.«
»Mißgeschick? Du nennst es Mißgeschick, wenn... oh, Gott...« Elsa mußte sich setzen. Sie hatte nicht weinen wollen, aber plötzlich konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten. Zusammengekrümmt saß sie am Fenster und schüttelte sich vor Schluchzen, während ihre Mutter vergeblich versuchte, ihr ein Taschentuch zwischen die zitternden Finger zu schieben. Ihr strenges, ebenmäßiges Gesicht versteinerte wie stets, wenn siean den Tag vor beinahe dreißig Jahren erinnert wurde, an dem die damals sechzehnjährige Elsa ein Telegramm von ihrer großen Jugendliebe, dem charmanten Manuel Stein erhielt, in dem er ihr mitteilte, er habe sich mit einem jungen Mädchen aus Kiel verlobt, sei überglücklich und werde so bald wie möglich heiraten. Elsa, die von dem Tag an, da er zur Marine gegangen war, die dumpfe Ahnung eines endgültigen Abschieds gehegt hatte, brach zusammen. Laetitia versuchte sie zu trösten, indem sie ihr immer wieder versicherte, Manuel sei ein Luftikus und er habe ihr keinen größeren Gefallen tun können, als sie zu verlassen. Ferdinand tobte, weil er Elsas Schmach als persönliche Niederlage empfand, und die ganze Familie war nur froh, daß Manuel weit weg war, da Ferdinand sich sonst unweigerlich mit ihm duelliert hätte und am Ende noch vor einem Gericht gelandet wäre.
»Du wirst noch viele Männer kennenlernen, Elsa«, hatte Laetitia gesagt, oh, es gibt so viele! Du brauchst es deinem Vater nicht zu erzählen, aber bevor ich ihn traf, war ich mit einem bezaubernden Jungen zusammen, den ich zu gern geheiratet hätte. Unsere Väter waren dagegen, und die Sache zerschlug sich. Und du siehst«, sie hatte auf ihre unverwüstliche Art gelächelt, »es hat mir nicht das Herz brechen können!«
Elsa hatte ihre Mutter verzweifelt angesehen. »Aber ich bekomme ein Kind von ihm, Mutter«, hatte sie leise gesagt. Das war eingeschlagen wie eine Bombe. Selbst Laetitia brauchte einige Tage, um sich von dieser Nachricht zu erholen. Ferdinand bekam einen Tobsuchtsanfall, zerschmiß eine Bodenvase aus dem sechzehnten Jahrhundert und entließ von einem Moment zum anderen drei alte, treue Knechte, die schon unter seinem Vater auf Lulinn gearbeitet hatten. »Das hast du also getrieben, wenn du angeblich mit dem jungen Stein ausgeritten bist!« schrie er. »Wie weit seid ihr gekommen? Bis zur nächsten Scheune? O Gott, in meinem Heu!«
Laetitia sah ein, daß alles Geschrei nichts nutzte. Sieverurteilte Elsas Verhalten nicht; die beiden waren jung, da geschah so etwas, und sie selber hatte früher keineswegs bis in das baldachingeschmückte, handgeschnitzte, gewaltige Ehebett der Dombergs hinein Enthaltsamkeit geübt. So etwas kam in den besten Familien vor, mußte aber natürlich sorgfältig vertuscht werden. »Das Kind darf nicht zur Welt kommen«, sagte sie bestimmt, »das siehst du ein, Liebling, nicht wahr?«
»Nein. Nein, das sehe ich überhaupt nicht ein. Es ist Manuels Kind, und ihm wird nichts geschehen.«
Laetitia rang die Hände, Ferdinand fluchte, aber nichts half. Da packte Laetitia eines Tages ihre Koffer und die von Elsa, nahm die Tochter an die Hand und erklärte: »Wir fahren nach Wien!«
»Nach Wien? Warum das?«
Laetitia hüllte sich während des ganzen Weges in geheimnisvolles Schweigen. Auf Elsas drängende Fragen antwortete sie schließlich nur: »Es ist besser, wenn du das Kind weit fort von daheim bekommst. Wir entgehen den Blicken und Fragen unserer Nachbarn.«
»Aber ich werde mit dem Kind zurückkehren. Was sagen wir dann?«
»Wir werden sehen«, entgegnete Laetitia ausweichend. In Wien quartierten sie sich bei einer Freundin von Laetitia ein, die verschwiegen und absolut vertrauenswürdig sein sollte. Elsa blieben die Wochen in der dunklen, allzu üppig und beengend eingerichteten Wohnung ein Leben lang als Alptraum im Gedächtnis haften. Es war Mai, die Kirschbäume blühten, die Sonne strahlte, aber Elsa durfte kaum einen Fuß auf die Straße setzen, weil Laetitias Freundin zwar verschwiegen, aber auch überaus prüde war und nicht wollte, daß die Nachbarschaft etwas von dem heimlichen Besuch erfuhr. Elsa lief wie eine gefangene Katze in ihrem Zimmer hin und her, dachte an
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