Sturmzeit
stirnrunzelnd. »Wer ist denn das? Welche Familie? Wo kommt sie her?«
»Du kennst sie, Vater. Sie war ein-oder zweimal in den Ferien hier. Sie ist die Schwester von Phillip Rath, dem besten Freund von Johannes. Ein wirklich entzückendes Mädchen, nur...«
Alle hörten auf zu essen und sahen Elsa an.
»Was denn?« fragte Belle.
Elsa lächelte hilflos. »Es geht so schnell. Ich verstehe nicht, warum er es so überstürzt...«
»Ach was, ich verstehe das sehr gut«, brummte Ferdinand, »er ist ein junger Mann und sehr verliebt, und er möchte dieses Mädchen haben, ehe sein Urlaub zu Ende ist und er in seine Kaserne am Ende der Welt zurück muß!«
»So ist es«, sagte Laetitia dankbar. Ferdinand hatte seine Taktlosigkeit gegenüber Elsa von vorhin wieder gutgemacht, indem er eine harmlose Erklärung fand für etwas, das sie plötzlich alle mit einer dumpfen Bedrückung umfing. Jeder verstand, weshalb Johannes so überstürzt heiraten wollte, vielen jungen Leuten ging das jetzt so. Die Soldaten fürchteten nicht das Ende ihres Urlaubs, sie fürchteten den Beginn eines Krieges.
Am Anfang der Eichenallee von Lulinn zügelte Felicia ihr Pferd und sah sich nach den beiden jungen Männern um, die ihr, ebenfalls zu Pferd, gefolgt waren. Die Sonne ging gerade unter, und abendliche Schatten breiteten sich über die Wiesen. Felicia, die ein Reitkostüm aus blauem Tuch trug, warf den Kopf zurück. Ihre Haare hatten sich bei dem schnellen Ritt gelöst und fielen ihr wirr und lockig über die Schultern. Sie atmete schnell und strich ihrem Pferd über den nassen Hals.
»Weiß Gott, ich hab' es schon wieder nicht geschafft«, sagte sie, »sie sitzen alle längst beim Abendessen, und Großvater wird fluchen und toben, weil ich kein einziges Mal pünktlich sein kann. Am liebsten würde ich euch beide bitten, mitzukommen und mich zu beschützen!«
Die beiden Männer lachten. Jeder in der Gegend wußte, daß Felicia den alten Domberg spielend leicht um den Finger wickeln konnte.
»Wir werden hier warten. Und wenn wir dich um Hilfe schreien hören, springen wir durchs Fenster«, sagte einer der beiden Begleiter. Sie waren Brüder, Benjamin und Albrecht Lavergne vom Nachbargut Skollna. Albrecht leistete gerade seinen Militärdienst ab, Benjamin war Student in Heidelberg. Die Sommermonate verbrachten sie daheim, und seit Maksim abgereist war, waren sie beinahe jeden Tag mit Felicia zusammen. Als Kinder hatten sie oft zusammen gespielt; später waren sie gemeinsam zu den Jagdgesellschaften in der Rominter Heide geritten, wenn sich dort im Herbst Kaiser und Adel trafen. Heute hatten sie einen Ausflug zum See gemacht und fühlten sich nun ebenso hungrig wie müde und glücklich.
Nachdem die jungen Leute sich verabschiedet und eine Verabredung für den nächsten Tag getroffen hatten, setzte Felicia ihren Weg allein fort. Wie immer, wenn sie die Allee heraufkam, fühlte sie sich von einem Glücksgefühl ergriffen, in dem sich Unruhe und Ärger auflösten. Schon als Kind war es so gewesen. Welchen Kummer sie auch mit sich herumtrug, er zerrann, wenn sie zwischen den Eichen entlangritt. Sie zügelte ihr Pferd noch einmal, als sie neben sich aus der dunklen Wiese zwei Gestalten auftauchen sah. Es waren ihr jüngerer Bruder Christian und sein Freund Jorias, beide in grasbefleckten weißen Hemden und knöchellangen Hosen, unter denen nackte, schmutzige Füße hervorsahen. Die Haare über den sonnenverbrannten Gesichtern sträubten sich in alle Richtungen, die bloßen Arme trugen Spuren von
Brombeerranken und Disteln.
»Hallo, Felicia!« rief Christian. »Daß du hier entlang reitest, ist wohl ein sicheres Zeichen, daß wir zu spät sind.«
»Das stimmt. Und wo kommt ihr her? Ihr seht recht abenteuerlich aus.«
Die beiden blickten an sich hinunter. »Ach, wir waren überall«, erklärte Jorias, »zuletzt an einem Teich, den wir diesesJahr das erste Mal entdeckt haben.« Er schwenkte das Fischernetz, das er über der Schulter trug. Felicia warf einen Blick in den leeren Eimer, den Christian gerade abstellte. »Nun, das war ja von grandiosem Erfolg gekrönt«, meinte sie anzüglich. Sie wußte, daß sowohl Christian als auch Jorias gefangene Fische ins Wasser zurückwarfen, weil sie es nicht fertigbrachten, sie zu töten. Natürlich liebten sie es nicht, darüber zu sprechen. Sie murmelten irgend etwas Verlegenes und spielten mit den Zehen im Gras, das feucht wurde vom Abendtau.
Felicia betrachtete die beiden zärtlich. Sie sahen so
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