Suche nicht die Suende
Welle der Vorahnung über Alex zusammenschwappen. Himmel, wenn sogar Gerry es glaubte,
Gwen
aber nicht –
»Naja, nun«, sagte Gerry jetzt schroff. Schwer wie ein Sack Rüben und ohne jede Eleganz ließ er sich hinter seinem Schreibtisch nieder. »Ich werde zu dieser Sache nichts mehr sagen. Aber es ist eine verdammte Schande. Die Familie hätte drei Millionen Pfund gut gebrauchen können.«
»Oh, Gerard«, seufzte Caroline. Alex öffnete den Mund, um die einzig passende schneidende Antwort zu geben, die diese dämliche Bemerkung seines Bruders verdiente – aber eine Eingebung hielt ihn davon ab.
»Könnte sie das?«, fragte er sanft.
Gerards Blick begegnete seinem, und seine Augen weiteten sich geringfügig – dann schlug er sie nieder. »Wer nicht?«, stieß er hervor.
Alex wandte den Blick nicht ab. Eine Möglichkeit, die bis jetzt undenkbar gewesen war, nahm Gestalt an. Er mochte undenkbare Möglichkeiten nicht. Er mochte nichts von all dem hier.
Du liebst mich so sehr, wie du Heverley End liebst.
Glaubte Gwen, dass sie das für ihn war? Ein lästiger Mühlstein um seinen Hals? Eine ungewollte Last?
Ein Funke von Inspiration entzündete sich in Alex. »Ich werde das in Ordnung bringen«, sagte er langsam.
Bei den Beechams erfuhr er, dass Gwen nach Heaton Dale geflohen und Elma zu Bett gegangen war. Sie ließ ihn hinauf in ihren Salon rufen, in dem sie auf einer Chaiselongue lag, den Kopf einem Hausmädchen zugeneigt, das beflissen eine kalte Kompresse darauf gedrückt hielt. »Folgen Sie ihr nicht«, riet Elma ihm. »Sie würden die Reise ganz vergeblich machen. Sie hat nicht einmal mir gestattet, sie zu begleiten. Ich habe sie noch nie in einer solchen Verfassung erlebt!«
Alex widersprach ihr nicht. »Falls sie nach mir fragt –«
Elma griff nach der Kompresse und setzte sich auf. »Das wird sie nicht tun, Mr Ramsey. Ich sage Ihnen, sie hat den Verstand verloren. Ich habe während des ganzen Weges bis zum Bahnhof auf sie eingeredet. Ich hätte mich ebenso gut mit einem Sack Kreide austauschen können!«
Er brachte ein Lächeln zustande. »
Falls
sie aber doch fragt, sagen Sie ihr bitte, dass ich nach Heverley End gefahren bin.«
Die Kompresse fiel zu Boden. »Aber warum?« Elma runzelte die Stirn. »Das liegt in der entgegengesetzten Richtung! Sie wollen doch wohl nicht wirklich auf mich hören? Natürlich müssen Sie ihr nachfahren!«
Er lachte. »Das werde ich auch«, sagte er. Zuvor jedoch musste er nach Heverley End. Danach würde er Gwen bringen, was er ihr versprochen hatte: den Beweis seiner Liebe, den sie so nötig hatte.
Heverley End war ein Haus im jakobinischen Stil. Es war aus Portland-Stein erbaut, den das Wetter und die salzhaltige Luft über Jahrhunderte gegerbt und mit unzähligen Pockennarben übersät hatten. Es stand oben auf einer Klippe, die von Kupferadern durchzogen wurde, und dessen längs unterteilte Fenster den Rückzug der Brandung überblickten. In Alex’ Erinnerung war das Haus furchterregend, ein Ort, der bestens für Schauder und Spuk geeignet war. Auf seiner Fahrt hierher hatte er sich gefragt, ob es wohl inzwischen von Männern mit Bowlerhüten bewacht wurde.
Die Wahrheit war allerdings weitaus weniger bemerkenswert. Das Haus sah in der untergehenden Sonne äußerst ansprechend aus. Idyllisch sogar. Und sollte Barrington seinen neuen Besitz schon in Augenschein genommen haben, so hatte er das Personal jedenfalls nicht ausgewechselt. Der Torwächter erkannte Alex aus der Kindheit wieder, und als die Haustür geöffnet wurde, sah er sich einem weiteren vertrauten Gesicht gegenüber: der Haushälterin Mrs Regis, die noch immer so dünn und groß wie ein Maibaum war. Er erinnerte sich ihrer als einer steifen und blutleeren Person, die ständig nur ein paar Schritte von den Ärzten und Kindermädchen entfernt gewesen war. Doch jetzt, zu seiner Überraschung, beharrte sie darauf, kurz in ihre Schürze zu weinen, bevor sie ihn durch das Anwesen führte.
Während Alex ihr folgte, wurde er sich einer dummen Enttäuschung bewusst. Er hätte ihm Spaß gemacht, sich seinen Weg in das Haus erkämpfen zu müssen. Es schien auch ganz passend zu sein, denn den Weg hinaus hatte er sich einst ganz gewiss erstreiten müssen.
»Wir haben alles in Ordnung gehalten«, versicherte ihm Mrs Regis, während sie ihn die Korridore mit den knarrenden Holzböden entlangführte. Hier gab es noch keine Elektrizität; und das Gaslicht verlieh der Szenerie den matten Glanz der Geschichte.
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