Süden und das verkehrte Kind
Eindruck, als sei er in der Lage, in kurzer Zeit die richtigen Schlüsse zu ziehen und das Mädchen auf schnellstem Weg zu finden.
»Sein Sohn hat sich nicht bei Nikolaus Kolb gemeldet«, sagte ich.
»Hast du mit seiner Frau gesprochen, Sonja?«, fragte Thon.
»Sie kümmert sich um das Möbelhaus und sonst nichts«, sagte sie. »Sie ist genauso alt wie Torsten Kolb, und die beiden haben sich nichts zu sagen. Sie behauptet, Torsten Kolb habe sie gebeten, das Haus zu verlassen, wenn er seinen Vater besucht.«
»Kontakt haben sie also«, sagte Paul Weber, dessen massiger Bauch gegen die Tischkante stieß. Wie immer bei solchen Zusammenkünften hatte er die Ärmel seines rotweiß karierten Hemdes hochgekrempelt, und man sah die grauen Haarbüschel auf seinen Unterarmen. Seine Ohren waren gerötet, und seine buschigen Augenbrauen beschatteten die aufmerksamen Blicke, mit denen er jeden, der gerade sprach, bedachte. Gern hätte ich mit ihm diesen Fall besprochen, ihn nach seiner Meinung und Interpretation gefragt, aber die Vernehmungen und mein Unterwegssein ließen mir keine Zeit dazu. Weber wäre auch der einzige Kollege im Dezernat gewesen, mit dem ich ohne Vorsicht über Martin Heuer hätte sprechen können.
»Sie spielen manchmal zusammen Karten«, sagte Sonja, die, seit wir uns in diesem Raum aufhielten, noch nicht ein Mal zu mir hergesehen hatte. In Kolbs Haus in Planegg hatten wir kaum ein Wort gewechselt, wir befragten das Ehepaar in getrennten Zimmern. Nicht einmal meine Bemerkung über die Schilder an fast jedem Zaun oder Haus konnte ihre Stimmung aufhellen. Entweder waren die Planegger leidenschaftliche Hundeliebhaber oder sie fürchteten sich ununterbrochen vor Vandalen aus den Nachbarorten Krailling oder Gräfelfing, anders konnte ich mir die Warnungen an den Grundstücken nicht erklären: »Hier wache ich« – »Vorsicht, bissiger Hausherr« – »Vorsicht, Hund«. Beim Verlassen der Noackstraße bildete ich mir plötzlich ein, die wirklich gefährlichen Bestien lauerten hinter Hecken ohne ein Schild davor.
»Entschuldigung«, sagte Erika Haberl und nahm die Hände von der Nase und atmete durch den geöffneten Mund.
»Wollen Sie Ihre Berichte heute noch diktieren?«
»Nein«, sagte Sonja.
»Nein«, sagte ich. »Wir haben keinen Zweifel daran, dass Nikolaus Kolb und seine Frau mit dem Verschwinden des Mädchens nichts zu tun haben. Wir schreiben das Protokoll morgen Früh.«
»Der Kreis engt sich also auf die Eltern ein«, sagte ein Kollege, dessen Name mir nicht einfiel, da er erst vor kurzem ins Dezernat 11 gewechselt war und bei den Todesermittlern arbeitete.
»Ich hab mit der ersten Frau von Nikolaus Kolb gesprochen, also der Mutter von Torsten«, sagte Freya Epp. Sie war eine ausgezeichnete Ermittlerin, und ihre Berichte lasen sich flüssig und spannend, wenn sie aber frei sprechen musste, noch dazu vor einer Gruppe, neigte sie dazu, sich kurios zu verheddern. »Andrea Kolb… die hat einen Laden, sie verkauft Honig, also…« Sie blätterte in ihrem Block, dessen Seiten sie mit auffallend großen Buchstaben gefüllt hatte. »Auf Märkten… Sie hat auch einen Laden in Schwabing, in der… in der…«
»Ist egal«, sagte Volker Thon.
»Die hat was… also dass ihr Sohn seine eigene Tochter entführt haben soll, das hält sie für abwegig… also darüber wollte sie nicht mal nachdenken, ich such… Sie hat wenig Kontakt zu ihm… In dieser Familie sind die Kontakte überhaupt sehr merkwürdig, oder? Hier hab ichs… Der Sohn… ihr Enkel, der Fabian, der Sohn von Torsten Kolb, der macht angeblich, also sagt Frau Kolb, die Mutter, der…«
Der Kugelschreiber fiel ihr hinunter, sie bückte sich und dabei rutschte ihr die Brille von der Nase und blieb auf dem Tisch liegen. Die Gläser in der roten Fassung waren ziemlich dick.
»Hallo zusammen!«, sagte Freya, als sie die Brille wieder aufsetzte und in die Runde blickte. »Der Fabian… der soll, sagt Frau Kolb, so Spiele machen mit Plastiktüten über dem Kopf, wer am längsten die Luft anhalten kann und so… Hat er wohl schon früher gemacht, als er jünger war, er war mal… irgendwann… Er war mal bei ihr in der Wohnung, ist schon Jahre her, da hat er das auch gemacht, sie ist ausgerastet, hat sie gesagt, sie hat ihm sogar eine Ohrfeige gegeben, da ist er weggelaufen, also, er ist dann auch… Irgendwo stehts…«
»Habt ihr darüber was gehört?«, fragte Thon. Zum ersten Mal sah Sonja mich an.
»Nein«, sagte ich.
»Hat vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher